Heike Drexel: Hallo und herzlich willkommen beim Podcast “Unternehmen im Gespräch”. Mein Name ist Heike Drexel und ich freue mich sehr auf meinen heutigen Gast, Herr Carlo Barich. Hallo Herr Barich.
Carlo Barich: Frau Drexel, ich grüße Sie. Schönen guten Tag. Hallo.
Klingenstadt Solingen
Heike Drexel: Ich bin heute hier in Ihren Räumen. Und zwar sind das die Räume der Firma Arthur Dorp in Solingen, in der sogenannten Klingenstadt. Klingenstadt ist es eben deswegen, weil ja hier, glaube ich, 90 Prozent aller Schneidewerkzeuge- und Besteckhersteller sitzen. Ist das richtig?
Carlo Barich: Das ist richtig. Hier sitzen also die hochqualitativen, die, die die Klingen entsprechend herstellen, sitzen hier in Solingen. Das ist richtig. Wie zum Beispiel Zwilling oder WÜSTHOF, ganz interessante Unternehmen. Und wir haben auch viele versteckte Hersteller, die hier sitzen. Aber im Großen und Ganzen ist das hier schon die Hauptstadt der Klingenhersteller. Wir haben hier in Solingen auch das bekannte Klingenmuseum. Sehr zu empfehlen.
Heike Drexel: Das habe ich auch schon gelesen und das ist, glaube ich, die zweite Attraktivität nach der Schloss Burg.
Carlo Barich: Es kommt darauf an, wem Sie das erzählen. Aber wir können uns darauf einigen, ja. (Lächeln)
Heike Drexel: Okay, super.
Unternehmenshistorie
Heike Drexel: Ja, und Sie selber haben in Ihrer Firmenhistorie auch mit Klingen angefangen, nämlich mit Rasierklingen. 1907 wurde Ihr Unternehmen gegründet.
Carlo Barich: So ist das richtig, ganz genau. Das war der Arthur Dorp, der hat das Unternehmen tatsächlich gegründet. Wir entstammen tatsächlich auch aus der ganzen Klingenherstellung. Es gab ja viel, viel mehr Hersteller damals 1907 oder auch davor, als es heute der Fall ist. Und daraus aber entstammt das Unternehmen. Und bis tief in die 70er-Jahre war das auch rund um das Kirchdorf, um das mal so salopp zu formulieren, tatsächlich auch eine sehr interessante Geschichte. Viele Kunden haben hier gesessen. Aber so in den 70er-Jahren hat dann doch eine Zäsur stattgefunden, dass viele Unternehmen aufgeben mussten, weil der Wettbewerb aus dem europäischen Ausland, Portugal, Südeuropa, sehr, sehr stark wurde. Und dieser Trend hat sich eigentlich sehr, sehr lange auch weiter hingezogen, ja, eigentlich bis heute an sich noch. Und heute sind wirklich die hochqualitativen Hersteller noch nach wie vor da und sind auch sehr, sehr erfolgreich am Markt platziert.
Heike Drexel: Und was machen Sie jetzt heute in Ihrem Unternehmen? Also Sie haben mit den Rasierklingen angefangen, aber heute liefern Sie keine Rasierklingen mehr, sondern Sie haben jetzt heute Stahl!?
Carlo Barich: Ja, also wir liefern die Rohware für die entsprechenden Hersteller. Aber wir sind nicht mehr so stark in diesem Geschäft involviert. Wir haben so Mitte der 70er-Jahre, als sich die Zäsur so abgezeichnet hat, uns entschieden, wir müssen raus aus Solingen, weil der Markt immer kleiner wird. Der Wettbewerb war damals auch sehr, sehr stark, muss man tatsächlich sagen. Und wir sind dann also doch deutlich über Solingen hinweg rausgegangen, sind in den Hochsauerlandkreis, Siegerland, ins Ruhrgebiet, Märkischer Kreis, also all diese ganzen Gebiete, die für damalige Verhältnisse ja schon weiter weg waren. Das war schon damals viel Reisetätigkeit. Und wir haben uns auch weiter in den Süden Deutschlands hinbewegt, um einfach neue Kunden/Märkte zu finden. Dabei hat sich dann herausgestellt, es gibt unglaublich viele Bereiche, in die wir uns bewegen können, ob das die Stanzereien sind, ob das die weiße Industrie ist, ob das Bauwerkzeuge sind.
Heike Drexel: Weiße Industrie sind ja Waschmaschinen?
Carlo Barich: Zum Beispiel Waschmaschinen oder Spülmaschinen oder Küchenindustrie. Es fällt vieles in den Küchenbereich hinein, Dunstabzugshauben, was auch immer. Das ist die weiße Industrie, ganz genau. So. Und wir haben uns aber auch vielfach in andere Bereiche hinein entwickelt, um halt eben von der Klingenindustrie wegzukommen. Genau.
Heike Drexel: Und sind Sie denn eigentlich so ein direkter Nachfahre des Gründers? Das war der Herr Arthur Dorp, der auch der Namensgeber ist der Firma. Carlo Barich: Richtig.
Heike Drexel: Sie heißen ja jetzt anders, also?
Carlo Barich: Genau, richtig gefolgert. Nein. Also die Familie Dorp hat, wie gesagt, 1907 das Unternehmen gegründet, der Arthur Dorp. So. Und man muss ja wissen, dass die natürlich auch schwere Zeiten hinter sich gebracht haben, der Erste Weltkrieg, die Inflation.
Heike Drexel: Zwei Kriege.
Carlo Barich: Dann kam das nationalsozialistische Regime. Die Boomzeit natürlich in der Weimarer Republik, ganz klar. Dann die Nazizeit. Da haben sie auch sehr gut daran verdient, das muss man tatsächlich sagen.
Heike Drexel: Entschuldigung, wenn ich da einhake. Aber die haben wahrscheinlich viel für die Rüstungsindustrie geliefert, oder?
Carlo Barich: Ja, damals noch nicht so sehr. Das war tatsächlich ein reines Handeln, also das noch nicht. Aber dann startete ja der Zweite Weltkrieg und dann wurden durch das Reichskriegsministerium ja die Unternehmen in Deutschland angewiesen, was jeder herzustellen hat. Wir haben tatsächlich, man höre und staune, die Abzugsbügel für die Handgranaten hergestellt. Also was heißt “wir”? Das Unternehmen Dorp damals. Das wurde vorgegeben.
Vieles ist leider verloren gegangen. Im Winter 1944 wurde Solingen schwer angegriffen. Und dadurch ist natürlich auch viel Material verloren gegangen, wo man hätte mal dokumentieren können, was ist genau passiert damals. Das Unternehmen hat einen schweren Treffer bekommen, aber auch das Haus, keine 300 Meter von hier weg, von der Familie Dorp hat auch einen schweren Treffer bekommen. Der Arthur Dorp wurde auch damals dabei verschüttet. Also da gibt es keine richtigen Aufzeichnungen mehr. Gut, dann der Wiederaufbau. Das waren natürlich die goldenen Jahre bis Ende der 60er-, Anfang der 70er-Jahre.
Der Arthur Dorp ist Mitte der 50er-Jahre gestorben und da hatten sie schon ein gewisses Alter gehabt. Da war natürlich dann die Frage zu stellen oder haben sie sich damals die Frage gestellt: “Wir haben keine Nachkommen, wir haben keine Kinder, wir haben gar nichts.” Und man muss wissen, dass damals in den 50er-Jahren die Firma Dorp ein Werkslager hatte von den Stahlwerken Südwestfalen. Das war damals mit eines der größten edelstahlproduzierenden Werke in Deutschland. Durch die Entflechtung, was die Alliierten vorgegeben haben, hatte Krupp ja dieses Monopol verloren.
Und dann – jetzt kommt die Familie Barich ins Spiel – hat der Herr Dorp dann meinen Großvater, der damals Vorstandsvorsitzender von den Stahlwerken Südwestfalen war, angesprochen, ob er sich vorstellen könnte, Anteile an dem Unternehmen zu übernehmen. Und dann haben die beiden also tatsächlich einen Weg gefunden und mein Großvater ist dann mit einem bestimmten Anteil in das Unternehmen reingerutscht. Er hat aber operativ nie was getan. Wie gesagt, er war Vorstandsvorsitzender. Und dann hat mein Vater damals zur Promotion, er hat auch Volkswirtschaft – ich glaube …
Heike Drexel: Ich auch. Carlo Barich: Sie auch? Heike Drexel: Ich habe auch Volkswirtschaft studiert, genau.
Carlo Barich: Er hat promoviert und hat zur Promotion die Anteile geschenkt bekommen, nach dem Motto: “Mein lieber Sohn, ich weiß nicht, was du vorhast.” So. Aber mein Vater war in Anführungsstrichen nur Gesellschafter, wie mein Großvater auch. Und das hat sich tatsächlich dann bis in die Mitte der 90er-Jahre hingezogen, dass also aktiv aus der Familie Barich sich niemand da irgendwo verpflichtet gefühlt hatte, dort operativ einzugreifen.
Heike Drexel: Ah, das erklärt die vielen Fremdgeschäftsführer in Ihrer Ahnengalerie.
Carlo Barich: Ganz genau. Es waren immer grundsätzlich aufgrund des Vier-Augen-Prinzips zwei Geschäftsführer ja angestellt.
Werdegang zum #Unternehmer
Carlo Barich: Gut. Und ich habe dann Ende der 80er-Jahre mein Abitur gemacht. Damals gab es noch die Wehrpflicht. Ich habe die auch noch absolviert, anderthalb Jahre. Gut, und dann war die Frage: Was mache ich? Dann habe ich also meine entsprechende Ausbildung, was halt eben jeder so macht. Ich habe dann auch noch eine Trainee-Ausbildung in der Stahlindustrie hinter mich gebracht, um, sagen wir mal, zumindest von der Pike auf das irgendwo auch verstehen zu können. Ich habe viele Jahre in Stuttgart gearbeitet, habe dort noch meinen Betriebswirt über ein Fernstudium gemacht. Und Mitte der 90er-Jahre bin ich dann von Stuttgart zurück nach Solingen und bin der erste Barich, der operativ hier eingestiegen ist.
Heike Drexel: Haben Sie gespürt, dass Sie jetzt das Unternehmergen in sich haben? Oder woher kommt es, dass Sie sozusagen der Erste sind, der jetzt das wirklich wollte? Weil Ihre Ausbildung haben Sie da direkt darauf ausgerichtet. Das klang jetzt nach einem Plan.
Carlo Barich: Das war auch in der Tat ein Plan, das stimmt, das ist richtig. Und diese sechs, sieben Jahre, die ich dafür benötigt habe, um mich wirklich darauf vorzubereiten, die waren sicherlich auch gut und richtig. Man muss ja wissen: Was ist Stahl? Wo kommt das her? Wie wird das erschmolzen? Es ist ja nicht nur die betriebswirtschaftliche Sache, man muss ja auch so ein bisschen wenigstens Ahnung haben: Was bedeutet dieser Werkstoff?
Und das muss ich wirklich sagen: Ich habe in Stuttgart in einem großen Stahl-Service-Center gearbeitet, hatte, obwohl sie wussten, dass ich irgendwann ausscheiden werde, recht früh die Handlungsvollmacht und mit 26 oder 27 sogar die Aussicht auf Prokura. Also, ich glaube, ich hätte dort eine Zukunft gehabt in diesem Unternehmen. Aber dann bin ich hier nach Solingen zurück. Was heißt “zurück”? Ich war ja noch nie in dieser Stadt. Und ich habe hier bei null angefangen. Ich kannte keinen Menschen hier. Ich bin in ein Unternehmen gekommen, was wirtschaftlich sehr gut aufgestellt war, aber von der Mentalität für mich sehr, sehr neu war, muss ich sagen. Als junger Mensch damals war das etwas anderes. Und Solingen war ja jetzt nicht so, dass das Stuttgart gewesen ist. Das war für mich sehr, sehr neu, muss ich wirklich sagen, und auch schwierig.
Heike Drexel: Weil es eine andere Mentalität war? Oder woran machen Sie es fest?
Carlo Barich: Es ist noch nicht mal die Mentalität. Ich sage jetzt ganz offen, es war auch eine fürchterlich hässliche Stadt.
Heike Drexel: War? Wie ist es denn heute?
Carlo Barich: Es hat sich gut entwickelt, muss ich wirklich sagen. Das muss ich einfach sagen.
Ein Votum für die Wirtschaftsjunioren
Carlo Barich: Und einer der Geschäftspartner von uns hat dann mitbekommen, dass ich also hier neu reingekommen bin, und hat dann vorgeschlagen dem damaligen Geschäftsführer: “Der soll sich doch mal bei mir melden. Ich bin bei den Wirtschaftsjunioren in Solingen.”
Heike Drexel: Bei denen war ich auch damals, den Wirtschaftsjunioren Bonn.
Carlo Barich: Sehen Sie, dann wissen Sie. Und da habe ich mir überlegt, besser als jeder Tennisclub, da komme ich direkt in das Nest rein. Und da muss ich wirklich sagen, das war für mich wirklich ein Booster Effekt. Ich habe tolle Menschen kennengelernt, nachhaltige Freundschaften geschlossen, ein tolles Netzwerk aufgebaut. Wir haben Europakonferenzen, Deutschlandkonferenzen teilweise zusammen gemacht. Und ich habe heute auch viele Kontakte dahin. Und ich muss wirklich sagen, ich habe viele Menschen über diese Schiene kennengelernt, die hätte ich in keinem Tennisclub hingekriegt. Das waren die Wirtschaftsjunioren. Und da muss ich wirklich sagen, ich bin heute noch, obwohl man mit 40 kein Wirtschaftsjunior mehr ist und ich werde jetzt 53, immer noch Mitglied dort, unterstütze das auch ganz klar. Natürlich bin ich aktiv schon lange raus. Aber ich habe darüber viele, viele Kontakte geknüpft und Menschen kennengelernt, die mir wirklich ans Herz gewachsen sind!
Heike Drexel: Sehr schön, also ein Votum für die Wirtschaftsjunioren. Ein Tipp an alle Selbstständigen und Unternehmer: Schaut. Weil die gibt es, denke ich, in jeder größeren Stadt.
Carlo Barich: Ja, natürlich. Das ist weltweit vernetzt, also egal, wo man hinfliegt oder wo man weltweit sich bewegt. Das ist wie bei den Lions, so ist das auch bei den Wirtschaftsjunioren. Man muss sich die Sachen schnell raussuchen, sagen: “Hier, ich bin bei den Wirtschaftsjunioren XY”, und dann stehen die Türen einem offen. Und dann werden auch Sachen einem da gezeigt, wenn man in bestimmten Ortschaften oder Städten ist. Das ist wirklich eine tolle Geschichte. Kann ich also nur empfehlen, dringend empfehlen.
Heike Drexel: Super. Super Tipp schon mal.
Carlo Barich: Ja, gut, für mich war es der einzige Weg. Für mich war Solingen vollkommen fremd damals. Ich kannte keinen einzigen Menschen. Und über diesen Weg bin ich dann tatsächlich reingekommen. Und ich kann es einfach nur empfehlen.
Das Unternehmen heute – 2022
Carlo Barich: Ja, und jetzt bin ich mittlerweile ja 25 Jahre hier im Unternehmen tätig. Und ich denke, wir fühlen uns hier sehr, sehr wohl. Es hat sich so entwickelt, wie ich mir das natürlich auch vorstelle, in diesen alten Hallen, hätte ich fast gesagt. Aber wir fühlen uns wohl.
Heike Drexel: Sind das immer noch die ursprünglichen Geschäftsräume?
Carlo Barich: Ja.
Heike Drexel: Tatsächlich? Weil ich habe gesehen, als ich mich für unser Gespräch vorbereitet habe, es gibt auch ja hier sogar eine Dorper Straße in Solingen. Da wäre es ja fast …
Carlo Barich: Nein, das hat damit nichts zu tun. Heike Drexel: Nicht?
Carlo Barich: Nein, nein, das hat damit gar nichts zu tun. Es ist plattdeutsch, Dorp für Dorf. Also das hat nichts damit zu tun, nein. Es gibt auch einen Dorper Hof zum Beispiel, hat aber damit nichts zu tun, nein.
Heike Drexel: Ah ja, wieder was dazugelernt. Carlo Barich: Richtig.
Heike Drexel: Sehr gut. Wie viele Mitarbeiter haben Sie denn hier an dem Standort?
Carlo Barich: Aktuell sind wir 16, 17 Mitarbeiter, um die Kante herum. Ich weiß es gar nicht so ganz genau. Ehrlich gesagt zähle ich das auch nicht immer, aber um diese Kante herum bewegen wir uns, ja.
Neue Mitarbeiter – ist Stahl sexy?
Heike Drexel: Jetzt habe ich mal noch eine etwas provokante Frage: Ist Stahl sexy genug für junge Leute, also für neue Mitarbeiter? Wie sieht denn das Thema aus? Wie rekrutieren Sie neue Mitarbeiter?
Carlo Barich: Wir können uns wirklich nicht beklagen. Also wir bilden selbst aus. Alle Mitarbeiter, die wir hier haben, sind selbst ausgebildet, zum einen. Zum anderen sind sie langjährig da. Der älteste, der bei uns noch tätig ist, der ist seit `74 bei uns. Er ist zwar mittlerweile offiziell in Rente, er ist aber tatsächlich noch für den Außendienst in Skandinavien unterwegs, weil er spricht schwedisch. Das ist eine ganz interessante Geschichte.
Und um auf die Frage zurückzukommen: Ja, es ist supersexy. Also ohne Stahl gibt es keinen Wohlstand. Dann würden wir heute noch tatsächlich in Höhlen rumkrabbeln und auf Bäumen herumspringen. Weil egal, wo wir uns bewegen, wenn wir die Türen aufmachen, wir haben einen Stahl, die Klinke besteht aus Stahl. Wenn wir essen, bestehen die Bestecke, die Messer aus Stahl. Wir haben uns eingangs darüber unterhalten. Wenn wir mit unseren Autos umherfahren, es besteht alles aus Stahl. Also alles das herum, der Wohlstand, auf dem wir unser Leben führen, ist Stahl. Und deswegen ist Stahl sehr, sehr sexy. Und ich sehe eine wirklich gute Zukunft für diesen Werkstoff. Und Old Economy – ich kann mich Anfang der 2000er noch gut daran erinnern. Old Economy ist einfach nur dummes Zeug, muss ich einfach mal so sagen. Dieser Werkstoff ist phänomenal.
Man muss wissen, es gibt über 2000 verschiedene Güten an Stahlsorten und jede Güte hat ihre Daseinsberechtigung, weil bestimmte mechanische Werte erfüllt werden müssen, ob bei 40 Grad minus. Wenn Waldarbeiter oder wenn die Maschinen entsprechend Holz fällen, dann muss das bei -40 Grad genauso gut arbeiten wie bei +40 Grad. Das sind auch unheimliche physikalische Umgebungen. Da muss einfach irgendwo auch gewährleistet sein, dass Stahl arbeitet. Wie wirkt sich Stahl aus beim täglichen Fahren des Autos? Wir merken das ja selber und wir machen uns keinen Kopf darum. Und das muss ich wirklich sagen: Um überhaupt Stahl herzustellen – ich weiß nicht, wahrscheinlich waren Sie noch nie in einem Stahlwerk?
Heike Drexel: Also in einem Stahlwerk war ich nicht. Aber ich habe natürlich eine Besichtigung schon mal beim Daimler gemacht bei den Autos. Mir fiel jetzt sofort ein, Stahl wird ja sehr häufig jetzt versucht zu ersetzen durch Kunststoff?
Carlo Barich: Das ist richtig, bis zu einem gewissen Grad darstellbar, um Gewicht zu reduzieren. Aber letztendlich, irgendwann sind die Grenzen erreicht, dann geht es schlicht und ergreifend nicht mehr weiter. Stahl hat definitiv meines Erachtens eine goldene Zukunft. Ganz klarer Fall, ganz klarer Fall.
Wir sind hier in einem alten Unternehmen. Ich möchte vielleicht da auch mal was zu sagen. Ich würde sagen, ich würde jetzt nicht den Mund zu voll nehmen, aber wir sind so eine Art Digital Company. Also wir haben 2004 angefangen, zu scannen. Wir haben das mittlerweile so weit fertiggebracht, dass also unsere kompletten Produktionsabläufe hier innerhalb unseres Unternehmens komplett digital abgebildet sind. Und drucken ist, ja, schon sehr selten hier im Unternehmen. Und das mit diesem alten oder Old-Economy-Werkstoff, hätte ich fast gesagt. Man sieht, man kann das wunderbar auch verknüpfen.
Und Stahl an sich, das sage ich Ihnen ganz klar, wird für die Zukunft ein großes Thema bleiben. Und wir sehen es gerade auch im Wandel zur Elektromobilität hin. Wir sehen es gerade im Edelstahl. Edelstahl ist einer unserer Umsatzträger hier bei uns im Hause. Wir sehen einfach, wie wichtig auch Edelstahl halt eben ist. Ob Sie das für den Offshore-Bereich brauchen, wenn die Windenergieanlagen offshore gebaut werden, also es gibt unzählige Einsatzbereiche, wo einfach auch Edelstahl benötigt wird und natürlich auch der normale Stahl, um Brücken zu bauen. Wir haben uns gerade über die Brücke A45 Rahmede unterhalten, die gerade in den nächsten sechs Monaten gesprengt wird. Der Stahl hat in den letzten 50, 60 Jahren unglaublich technologische Fortschritte gemacht.
Und deswegen: Nein, es ist und bleibt sexy. Wir rekrutieren unsere Leute selber, das habe ich vorhin eingangs gesagt. Wir bilden auch selber aus und wir sagen unseren Auszubildenden: “Ihr bleibt hier, ihr könnt einen festen Job haben mit einer vernünftigen, guten Bezahlung, mit allem Drum und Dran.” Wir bieten außerhalb der Bezahlung auch manche Möglichkeiten.
Unternehmenskultur
Heike Drexel: Sie haben sogar den Kicker, wenn ich das hier mal erwähnen darf, hier in Ihren Räumen, habe ich gerade gesehen, der ja immer so ein bisschen ein Sinnbild ist so für Startup Companies und so, dieser Kicker.
Carlo Barich: Ja, der Kicker, der wird häufig tatsächlich benutzt, wenn irgendwas gut gelaufen ist. Oder wir setzen uns auch einfach mal spontan zusammen und grillen mal für uns. Also von der Seite her sind wir eine kleine, aber doch sehr schlagkräftige Truppe. Und das kommt bei den Menschen gut an. Es ist nicht nur das stupide Arbeiten, sondern wir bieten halt eben auch den Mitarbeitern an, dass sie Homeoffice machen können. Sie haben ihre Homeoffice-Möglichkeiten. Wir sind 2006 – ich möchte das gern mal betonen – als das kinderfreundlichste Unternehmen Solingens ausgezeichnet worden, weil wir teilweise schon damals Homeoffice-Plätze eingerichtet haben in 2006.
Heike Drexel: 2006? Wow!
Carlo Barich: Ich möchte mal betonen: Wir hatten unten tatsächlich eine Krabbelgruppe, wo also Kinder rumgekrabbelt sind. Natürlich musste ich mir von älteren Kunden anhören: “Was? Herr Barich, wie können Sie so etwas machen?” Auch unser Gesellschafter, mein Vater, hat mir ganz klar gesagt: “Hallo? Das sind ja Dinge, das gäbe es bei uns nicht.” Ich sagte: “Man muss neue Wege gehen.”
Heike Drexel: Mit der Zeit gehen, nicht?
Carlo Barich: Und die Menschen, die Mütter, die waren sehr, sehr dankbar dafür. Und von der Seite her: Man muss ungewohnte Wege beschreiten, um auch guten Erfolg zu generieren. Und ich glaube, das ist auch gut gelungen. Ja.
Heike Drexel: Die Krippe gibt es aber jetzt leider nicht mehr, oder?
Carlo Barich: Nein, aber sie kann jederzeit aufgebaut werden. Sie kann jederzeit aufgebaut werden. Und von der Seite her, glaube ich, spricht das sehr, sehr viele Menschen an, muss man tatsächlich sagen. Ich glaube, zuzeiten der Familie Dorp ein undenkbares Szenario.
Heike Drexel: Es gibt Studien, die sagen, was ist denn jungen Menschen heute das Wichtigste. Also es ist nicht das Geld. Natürlich muss das Geld stimmen, um sein Leben zu bezahlen. Aber wirklich dieses Thema Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist immer ganz oben.
Carlo Barich: Ja, das stellen wir in unseren Gesprächen oder in den Gesprächen, die ich mit den Mitarbeitern habe, stelle ich das immer wieder fest. Und ich glaube, man muss wirklich auch darauf eingehen. Und ehrlich gesagt, natürlich merken wir auch den Fachkräftemangel, aber wenn Sie wirklich verschiedene Wege gehen, dann finden Sie auch tolle Mitarbeiter, die man wirklich gut integrieren kann. Und was die Mitarbeiter auch sehr interessiert, ist die Vielfältigkeit. Also die haben nicht einen bestimmten Arbeitsplatz, sondern sie sind für Einkauf, Verkauf, sie sind für den gesamten Prozess eigentlich zuständig, inklusive Neukundengewinnung, und sie sind dafür verantwortlich.
Und was ich immer wieder in den Gesprächen festgestellt habe: Menschen freuen sich, wenn sie Verantwortung tragen dürfen, wenn man ihnen Vertrauen gibt. Das, muss ich sagen, ist etwas, was ich persönlich gerne gebe. Und in den seltensten Fällen ist das wirklich in die Hose gegangen. Das muss ich mal wirklich sagen. Und ich kann immer wieder auch eingreifen. Aber ich gebe den Mitarbeitern das Vertrauen: “Ihr könnt das. Ich weiß das.” Und wenn irgendwo Hilfestellung geleistet werden muss, entweder externe Hilfe durch Schulung oder was auch immer, dann wird das zur Verfügung gestellt.
Heike Drexel: Wichtig ist ja auch dieses Thema Fehlerkultur: Wie gehe ich damit um, wenn dann doch mal auch was schiefläuft?
Carlo Barich: Also erstens: Fehler passieren mir persönlich auch des Öfteren und ich kann nicht das, was mir passiert, bei anderen nicht zulassen. Was ich damit sagen will, ist: Ein Pilot stürzt nur einmal wegen einem bestimmten Fehler ab, aber nicht zweimal. Definitiv nicht. Also es muss tolerierbar sein. Es muss natürlich sich immer in Grenzen halten, aber man muss Fehler auch akzeptieren. Nur daraus lernt man auch.
Kundenkontakt – VeRTRIEBSSTRATEGIE
Heike Drexel: Besuchen Sie denn Ihre Kunden eigentlich noch tatsächlich vor Ort? Also ist das noch so mit klassischem Außendienst, dass man die Kunden besucht, oder läuft das alles eher online? Und zweite Frage dazu noch angeschlossen: Nutzen Sie da auch die sozialen Medien noch jetzt für die Kundenansprache?
Carlo Barich: Also um die erste Frage zu beantworten: Ja, wir sind sehr aktiv bei unseren Kunden. Zu Corona-Zeiten, in den letzten zwei Jahren ist das radikal zusammengeschrumpft natürlich. Aber wir suchen immer wieder den Kontakt, weil, ich sage das mal so, wir sind eine Stahl-Boutique. Wir sind nicht das klassische Handelshaus mit den 08/15-Produkten, was wir anbieten. Denn unser Material ist beratungsintensiv und wir können das nur machen face-to-face. Und ich glaube, wir haben jetzt einen Bildschirm hier im Besuchszimmer, wo wir uns auch connecten mit den Kunden oder mit den Lieferanten, aber entscheidend ist: Wir haben Mund, Nase, Ohren, wir müssen fühlen, wir müssen den Gesprächspartner spüren. Und deswegen ganz klar, die Mitarbeiter fahren nach wie vor sehr stark zu den Kunden, wenn es wieder erlaubt ist, sicherlich auch wieder sehr, sehr häufig. Zurzeit ist das natürlich schwierig. Die zweite Frage, was war das noch mal bitte?
Heike Drexel: Das Thema so mit den sozialen Medien, ob Sie die eben nutzen für die Kundenansprache, also so einen Instagram-Auftritt, LinkedIn, also so diese ganzen Themen.
Carlo Barich: Also was wir nutzen verstärkt, ist LinkedIn in der Tat. Das bauen wir aber gerade so sukzessive erst auf. Was wir auch sehr stark nutzen – vielleicht haben Sie das gesehen auf unserer Internetseite –, ist der Blog. Wir haben also immer wieder tolle Themen da drin, wo wir selbst teilweise nachlesen müssen. Diese Blogs werden professionell aufgezogen, um auch Kundenansprache zu erzeugen, was uns tatsächlich auch gut gelingt. Also wir können tatsächlich nicht feststellen, wie viele wir über das Internet reinbekommen, sogenannte Conversions, aber wir stellen fest, dass zunehmend wir über das Internet angesprochen werden. Aber wir gehen natürlich auch den klassischen Weg, die Messe. Also ich war jetzt selbst Ende Oktober in Stuttgart.
Heike Drexel: Auf der BLECH, habe ich gesehen.
Carlo Barich: Und die war außerordentlich erfolgreich für uns, die war wirklich gut. 80 Prozent ausländische Kunden. Unsere deutschen Freunde, die waren doch lieber zu Hause oder lieber in den Firmen und sind nicht rausgekommen. Aber es war wirklich eine prima Veranstaltung für uns, die wir auch sehr, sehr regelmäßig alle zwei Jahre besuchen. Wir überlegen auch tatsächlich, in Skandinavien auf einer Messe uns umzuschauen, weil wir da einfach viele Kunden haben und weil wir mit unserer Boutique – ich will das jetzt mal wirklich so bewusst sagen – wirklich die Kunden auch gut ansprechen können.
Das Geschäftsmodell – STAHLHANDEL und Service
Heike Drexel: Ich muss jetzt noch mal wirklich fragen: Wie genau beliefern Sie eigentlich dann Ihre Kunden? Also Sie bekommen Ware, Sie kaufen Stahl ein bei den Stahlwerken und handeln das durch? Das heißt, es läuft jetzt hier nicht über Ihre Hallen? Oder wird es hier bei Ihnen umkonfektioniert? Das hätten wir jetzt vielleicht mal an den Anfang stellen sollen, aber da muss ich jetzt so ein bisschen fürs Verständnis noch mal nachhaken.
Carlo Barich: Also unser Geschäftsmodell, ich versuche das mal wirklich in kurzen, knappen Worten zu erläutern. Wir haben zwei Standbeine. Das eine Standbein ist der lagerhaltende Stahlhandel. Das heißt also, wir kaufen entsprechend große Mengen bei den Werken ein, konfektionieren das und verteilen das in kleineren Mengen an unsere Kunden. Wir haben natürlich auch gefixte Aufträge, die natürlich in unserem Lager bleiben, und der Kunde gibt uns Rahmenaufträge und ruft dann sukzessive das Material ab.
Das zweite interessante Standbein, was wir uns immer weiter ausbauen, ist der Stahl-Service. Wir haben also ein angegliedertes Stahl-Service-Center. Das bedeutet, wir haben Spaltanlagen. Sie müssen sich das so vorstellen: Aufgewickelte Stahlbänder nennt man Coils. Wir kaufen also die Muttercoils entsprechend breit ein und spalten das in Streifen für Stanzereien zum Beispiel. Die kriegen also schmale Bänder dann ausgeliefert. Und das geht dann in der Regel an Stanzereien und die lassen das durch ihre Stanzautomaten laufen, um ihre Produkte herzustellen. Teilweise wissen wir selbst nicht, was unsere Stanzereien, unsere Kunden daraus machen, weil das teilweise unter Betriebsgeheimnis läuft. Aber um ein Bild mal zu machen: Wenn Sie einen Kuli auseinanderschrauben, dann ist so eine Feder drin. Das ist ein klassisches Stanzteil, nur als Beispiel. Und dann haben wir auch die Möglichkeit, an einem Material im spanabhebenden Verfahren runde Kanten anzubringen. Das bedeutet, wenn Sie zum Bäcker gehen und lassen sich ein Brot schneiden, dann haben Sie eine geschnittene Kante. Das ist bei unserer Spaltanlage, das ist eine geschnittene Kante. Und viele Kunden möchten gerne eine arrondierte Kante haben, also eine runde Kante. Es hat optische Gründe, was auch immer die Kunden da entsprechend möchten. Dann bekommen sie halt eben das auch von uns angearbeitet. Und dieser Bereich, dieser Servicebereich, der wird bei uns sukzessive weiter ausgebaut. Das heißt, wir haben nicht nur den Handel, sondern wir haben auch den Stahl-Service bei uns. Und das läuft alles hier innerhalb unseres Hauses.
Das sind erst mal die beiden, das Geschäftsmodell. Wir kaufen also entsprechend große Mengen ein. Wir vertreiben das über unseren Stahlhandel oder aber über unsere Maschinen. Da haben wir ein Vorratslager und dann wird entsprechend daraus gespalten und dann kriegen das unsere Kunden für ihre Maschinen.
Unsere Kunden sind nicht nur Stanzereien, es ist weiße Industrie, hatte ich vorhin schon gesagt, Bauwerkzeuge, Maschinenbau, Rohrbieger, also kreuz und quer. Es gibt insgesamt 16 Branchen, die wir beliefern. Die Federindustrie ist übrigens auch ein interessanter Bereich von uns. Unsere Kunden, die sitzen halt eben nicht nur hier in Solingen – wir haben ja auch eigene Autos, innerhalb von 200 Kilometern fahren wir auch selber –, sondern wir haben sehr, sehr viele Kunden in Süddeutschland, in Ostdeutschland, in Österreich und so weiter, Skandinavien, Benelux. Also wo sie halt eben alle sitzen, teilweise mittlerweile sogar in Übersee, weil wir eine Boutique sind und dann entsprechend dieses spezielle Material sie nicht an allen Ecken und Enden finden, weil der Wettbewerb natürlich auch da ist.
Corona und andere Krisen
Heike Drexel: Wir hatten es von Corona. Wie hat sich das jetzt bei Ihnen ausgewirkt? Haben Sie Lieferschwierigkeiten? Also sprich: Kommen Sie nicht ans Material? Das hört man jetzt eigentlich am meisten als Problem.
Carlo Barich: Also als das März 2020 eskalierte, da haben wir uns tatsächlich sehr starke Sorgen gemacht, weil das war ein Novum. Man hat schon mittlerweile in den letzten 20 Jahren wirklich so ein paar Krisen mitgemacht, die Eurokrise, die Finanzkrise, die Subprime-Krise. Ich weiß nicht, was alles für Krisen da waren. Aber das war jetzt wirklich was ganz Neues und etwas sehr Spannendes. Und ich muss aber tatsächlich sagen, wir sind durch die Krise echt gut durchgekommen.
Wir haben dann im vierten Quartal 2020 gemerkt, es passiert was an den Rohstoffmärkten, die Versorgung wird knapp, die Preise gehen hoch. Wenn Lieferzeiten lang werden, gehen in der Regel die Preise auch hoch. Das haben wir schon sehr, sehr früh gespürt. 2021 war genau von diesem Problem massiv geprägt. Wir haben also große Probleme gehabt, wobei ich sagen muss, im Großen und Ganzen haben wir die Enden immer wieder zusammengekriegt und unsere Kunden haben gar nicht so sehr darunter gelitten. Im Gegensatz zu manch anderem Wettbewerber haben wir das, denke ich, gut hinbekommen. Aber dieses Problem zieht sich tatsächlich auch in das neue Jahr hinein weiter.
Und ich könnte mir vorstellen, dass Corona nur ein Katalysator war für wirklich viele andere Bereiche, weil wir gerade mitten in einem Wandel sind zu den grünen Technologien. Dekarbonisierung – das Schlagwort schlechthin. Das Material in der Form, es wurde einem früher ja wirklich hinterhergeworfen. Ich muss es leider so sagen, dass die Zeiten wahrscheinlich erst einmal mittelfristig vorbei sind. Stahl bleibt teuer. Ganz klar, Stahl bleibt teuer. Die Energiekosten sind ein fürchterliches Thema zurzeit. Und wir sehen auch, dass manche Unternehmen teilweise die Produktion eingestellt haben, weil sie es einfach nicht mehr bezahlen können. Also wir sehen da wirklich viele Probleme auf uns zukommen.
Aber gleichwohl die Innovationskraft – wir hatten uns vorhin über die Hidden Champions mal kurz unterhalten –, die Innovationskraft hier in Nordrhein-Westfalen und überhaupt in Deutschland, die ist so wirklich stark, dass wir auch dafür sicherlich gute Lösungen herbeizaubern können. Also für die Zukunft, wenn jetzt nicht irgendwas ganz Schreckliches passiert, sehe ich nicht schwarz, nein. Aber die Probleme werden bleiben. Die Problematik der Lieferketten bleibt ganz klar. Das ist alles ein Thema, was uns weiterhin verfolgen wird. Das sehen wir auch tagtäglich in den Gesprächen.
Heike Drexel: Jetzt ist das eben, Sie sagten gerade schon, eine von mehreren Krisen, die Sie schon erlebt haben. Haben Sie denn eigentlich auch selbst mal so einen Punkt gehabt in Ihrem Leben als Unternehmer, wo Sie gesagt haben: “Mensch, oh, das ist jetzt so eine richtige Krise, da weiß ich jetzt gar nicht mehr ein und aus”? Und wenn ja, wie sind Sie damit umgegangen, wie sind Sie da rausgekommen?
Carlo Barich: Ehrliche Frage, ehrliche Antwort: Nein. Also aufgeben, Krisen? Ich habe nie meinen Kopf in den Sand gesteckt. Aber ehrlich gesagt, ich komme aus einer sehr sportlichen Familie. Und das Sportliche, es steht uns wirklich, glaube ich, auch in der Mentalität ganz gut zu Gesicht. Und ich würde sagen, diesen Gedanken habe ich nie gehabt, nein. Im Gegenteil, ich habe dann versucht, sofort irgendwelche Gegenmaßnahmen einzuleiten: Was kann man besser machen?
Aber wenn ich etwas sagen darf: Entlassen, Mitarbeiter zu entlassen, das empfinde ich tatsächlich persönlich als Eingeständnis, dass man versagt hat. Es kann nicht sein, dass man Menschen, Mitarbeiter einstellt, vielleicht mit Versprechungen auch einstellt, um dann zu sagen: “Wir kriegen das nicht hin.” Und dieses Erlebnis, muss ich tatsächlich sagen, habe ich bis jetzt noch nicht gehabt und ich möchte es auch gar nicht haben und erleben. Wenn, dann trennt man sich halt eben so. Das ist völlig in Ordnung. Aber es war keine Krise bis dato da, wo ich gesagt habe: “Wir müssen dich entlassen, weil die Situation so ist, wie sie gerade ist.” Nein, das habe ich immer sportlich gesehen. Und das bleibt auch so.
Pläne für die Zukunft
Heike Drexel: Super. Haben Sie denn eigentlich auch schon einen Plan für Ihre Nachfolge? Weil wir es eingangs von unserem Gespräch so über das Thema hatten mit der Ahnengalerie und so, gibt es da eigentlich auch schon so Gedanken?
Carlo Barich: Also aktuell noch nicht. Aber sicherlich hat man natürlich so seine Gedanken und macht sich logischerweise auch da seinen Kopf: Was ist in den nächsten 10, 15 Jahren? Man möchte ja nicht immer jetzt ganz vorne stehen. Ich habe Kinder. Klarer Fall. Aber leider nur – was heißt “nur”, also nicht falsch verstehen – einen Sohn, der sicherlich dafür sich interessieren würde, aber dafür muss er erst eine fundierte Ausbildung haben. Und das ist sicherlich mehr als, was ich damals gemacht habe. Aber ob das letztendlich so läuft, weiß ich nicht. Aber warum? Man kann es auch Mitarbeitern übertragen. Es gibt so viele Möglichkeiten. Ich weiß es nicht. Also ehrlich gesagt, zurzeit habe ich da noch keinen richtigen Plan. Aber das wird sicherlich zu gegebener Zeit kommen.
Heike Drexel: Sie haben ja auch noch ein bisschen Zeit.
Carlo Barich: Das würde ich aber auch sagen.
Heike Drexel: Ja. Und in der heutigen Zeit, ich glaube, wir werden ja so oder so alle etwas länger arbeiten als vielleicht mal früher gedacht. Und vor allen Dingen, wenn es einem Spaß macht.
Carlo Barich: Es muss nicht jetzt so laufen die nächsten 15 Jahre, wie ich es die letzten 15 oder letzten 20 Jahre gelaufen ist. Aber es macht mir Spaß. Ich sage es ganz offen, es macht mir Spaß. Es macht mir Spaß, Dinge anzustoßen. Und man hat ja so gewisse Ideen im Kopf, die man sicherlich noch irgendwann umsetzen möchte. Aber ich halte es so frei nach Friedrich dem Großen, der im Siebenjährigen Schlesienkrieg gesagt hat zu seinen Soldaten: “Hunde, wollt ihr ewig leben?” In dem Sinne, ein paar Ideen habe ich noch, die ich sicherlich umsetzen möchte, aber vielleicht, wie gesagt, mit meinem Sohn oder vielleicht mit Mitarbeitern. Keine Ahnung. Ideen habe ich aber noch.
Heike Drexel: Das braucht man, glaube ich, auch, so eine Vision oder Träume irgendwie so.
Einstieg als Unternehmer
Heike Drexel: Könnten Sie auch noch eigentlich so einen Tipp mal geben an jemanden, der sich vielleicht jetzt selbstständig machen würde in der heutigen Zeit, was Ihnen selbst zum Beispiel auch geholfen hatte so an Mindset?
Carlo Barich: Also was mir damals geholfen hat, das war meine Naivität. Das muss ich tatsächlich sagen. Und das hat auch für mich persönlich sehr viel Lehrgeld gekostet. Das muss ich tatsächlich sagen. Es war also wirklich teilweise nicht sehr, sehr einfach, in ein Unternehmen zu kommen. Sie kennen keinen Menschen. Ich muss tatsächlich sagen, mein Vater konnte froh sein, dass er den Weg überhaupt von Siegen hierhin nach Solingen gefunden hat, weil er so wenig hier war. Und die Übergabe war nicht so, wie das in vielen Unternehmerfamilien vielleicht der Fall ist: Der Vater nimmt seinen Sohn schon als kleinen Jungen mit da rein und dann wachsen diese Leute entsprechend mit den Mitarbeitern auf. Das war bei mir überhaupt nicht der Fall. Ich kannte hier keinen. Bis auf den damaligen Geschäftsführer kannte ich niemanden. Ich wurde sehr argwöhnisch aufgenommen. Und das war damals schon schwierig für mich. Aber deswegen habe ich eingangs gesagt …
Heike Drexel: Entschuldigung. Wie alt waren Sie denn damals?
Carlo Barich: 27. Und das war eine verknöcherte Zeit damals, muss man irgendwo auch sagen. Ich habe das so empfunden. Und das musste erst mal aufgebrochen werden und das war wirklich nicht einfach. Was man als Mindset, wie Sie vorhin so schön gesagt haben, haben muss: Man muss Beharrlichkeit haben, man muss auch mal bereit sein, wirklich kürzerzutreten, und man muss auch bereit sein, manchmal Entscheidungen zu treffen, die wirklich unangenehm sind. Und dazu muss man schon bereit sein. Das muss man schon wirklich sagen.
Heike Drexel: Kann man das denn von Anfang an eben auch? Oder ist das auch etwas, was man eben lernt?
Carlo Barich: Es ist ein Lernprozess. Und wenn man das aber irgendwo dann hinbekommen hat, dann diese Möglichkeiten, die einem offenstehen, und dass man dann schalten und walten kann, wie man möchte, und gewisse Ideen umsetzen kann. Und wenn man da tolle Mitarbeiter hat, die tolle Ideen zurückbringen – das ist tatsächlich bei uns im Unternehmen so, ob das unsere Buchhalterin ist oder ob unsere Verkäufer das sind, die haben teilweise so tolle Ideen –, und wenn man das dann im Team zusammen verwirklichen kann, dann, kann ich wirklich sagen, ist Selbstständigkeit toll.
Man muss sich aber auch darüber im Klaren sein: Man haftet für alles, man steht dafür ein. Und wenn es ganz dumm läuft, kann es auch ganz unangenehme Konsequenzen haben. Darüber muss man sich im Klaren sein, aber das weiß man. Also man kann natürlich in der Wohlfühl-/Komfortzone bleiben, klar, aber man darf sich dann irgendwann nicht ärgern darüber, dass man vielleicht gewisse Dinge nicht erreicht hat. Es ist ein Abwägen, muss jeder für sich selber wissen. Man muss nur der Typ dafür sein und man muss das auch einfach für sich umsetzen können. Diese Antwort kann nur jeder für sich selbst finden.
Heike Drexel: Also ich stelle mir das gerade wirklich so vor, wie Sie dann da als 27-Jähriger ganz fremd hier die Firma übernommen haben. Ich meine, Ihr Vater muss ja ein unglaubliches Vertrauen in den Geschäftsführer gehabt haben, wenn Sie sagen, der war fast nie da, dass das einfach alles so gelaufen ist. Und dann kommen Sie daher und übernehmen dann quasi so die Führung. Also das ist echt eine große Herausforderung.
Carlo Barich: Also eines kann ich Ihnen sagen: Das ist einfach eine Erfahrung, die man tatsächlich so gemacht hat, und das würde ich persönlich nie wieder so machen. Ein Unternehmen führen zu lassen durch Geschäftsführer, vergessen Sie das, sollte man nie tun. Mein Vater konnte sehr gut Bilanzen lesen, ganz ohne Zweifel. Aber was ist wirklich im Unternehmen los? Was beschäftigt die Menschen? Was passiert da im Untergrund? Das hat er nie mitbekommen und das habe ich aber mitbekommen. Und das war, fand ich, eine sehr schwierige Situation. Und so etwas kann auch wirklich nach hinten losgehen. Ein Unternehmen, das ist ja auch ein Wertgegenstand mit all seinen Kunden, mit dem Lager, mit den Maschinen oder mit dem Grundstück oder was auch immer. Das kann auch verloren gehen.
Heike Drexel: Das heißt, das Areal hier ist alles im Firmenbesitz?
Carlo Barich: Genau, richtig, ja. Und das kann auch anders dann laufen und dann können solche Sachen auch verloren gehen.
Heike Drexel: Absolut. Ja, da gibt es leider einige prominente Beispiele.
Carlo Barich: Da gibt es einige Beispiele. Also, Sie hatten das vorhin gesagt, wenn man keinen findet, entweder macht man das Unternehmen zu oder man verkauft es. Aber die Erfahrung, die ich gemacht habe: Niemals Geschäftsführern übergeben. Das ist keine Wertung, es ist einfach ein Fakt, denn man hat kein Gespür in das Unternehmen. Und bei meinen Freunden und Bekannten hier bei den Wirtschaftsjunioren, die sind alle da reingewachsen. Da war ich ein Unikum, da war ich tatsächlich ein Unikum. Und die kannten alle ihre Leute, die sind teilweise als Kleinkinder da umhergekrabbelt.
Das Unternehmen dort war für mich: Ich kannte es in Siegen, weil immer vielleicht mal ein Notizblock dalag oder was auch immer. Und ich kannte den Geschäftsführer, aber sonst kannte ich niemanden. Das war es. Und das war schon eine schwierige Situation, das muss ich tatsächlich sagen, wo ich mir gedacht habe: “Verdammt noch mal, jetzt bist du aus Stuttgart weggegangen. Du hättest eine tolle Zeit haben können dort.” Und die haben ja alles versucht, dass ich dableibe. Aber ich habe nun mal mein Wort gegeben und Worte müssen ja auch eingehalten werden und das Versprechen. Dann bin ich also nach Solingen gegangen. Aber das habe ich vorgefunden. Das war für mich wirklich nicht einfach. Aber ich sitze ja noch da, ich lächle noch. Ich freue mich meines Daseins.
Heike Drexel: Genau, Sie lächeln, Sie strahlen.
Carlo Barich: Und von der Seite ist alles prima.
Abschlussfrage LottoGEwinn
Heike Drexel: Das ist super. Das heißt, meine abschließende Frage, die ich jetzt immer stelle, ebenso nach dem Motto: “Was würden Sie machen, wenn Sie 5 Millionen Euro im Lotto gewinnen würden?”, da bin ich jetzt gespannt.
Carlo Barich: Das kann ich Ihnen sagen. Also ich würde dann vielleicht die eine oder andere Vision schneller umsetzen, aber ich würde sicherlich nicht am Grundsätzlichen irgendwas ändern. Weil dafür macht es mir einfach zu viel Spaß. Aber annehmen werde ich es auf jeden Fall, das ist klar. Aber, wie gesagt, die eine oder andere Vision, die würde ich dann schneller umsetzen. Aber ansonsten würde ich nichts ändern wollen.
Heike Drexel: Super, das ist doch ein super Schlusswort. Wenn man so zufrieden ist und glücklich, das ist ganz toll. Es war ein sehr schönes Gespräch, Herr Barich. Vielen, vielen Dank!
Carlo Barich: Ich gebe das zurück und vielen herzlichen Dank.