Heike Drexel: Hallo und herzlich willkommen zu einer neuen Folge des Podcasts “Unternehmen im Gespräch” mit Unternehmern und Unternehmerinnen aus dem Rheinland. Ich bin Heike Drexel und meine heutige Interviewpartnerin ist nicht nur selbst Unternehmerin, sondern sie repräsentiert zusätzlich die Unternehmen im Kölner Raum. Ich freue mich sehr auf Dr. Nicole Grünewald, geschäftsführende Inhaberin der The Vision Company Werbeagentur und die derzeitige Präsidentin der Industrie- und Handelskammer zu Köln, kurz gesagt der IHK Köln. Hallo Nicole, schön, dass du da bist.
Dr. Nicole Grünewald: Hallo Heike, ganz herzlichen Dank für die Einladung.
Heike Drexel: Ja, sehr gerne.
Anfänge als Unternehmerin und die Werbebranche heute
Heike Drexel: Es freut mich total, dass du da bist und dass du natürlich heute auch die Zeit gefunden hast, zu kommen. Denn ich weiß ja, dass du als ehrenamtlich tätige Präsidentin der IHK ja eigentlich schon fast, ich sage jetzt mal, einen Vollzeitjob hast damit, also einen sehr ausfüllenden Job neben deiner Aufgabe auch noch als Chefin deiner Agentur. Sag mal: Wie viele Mitarbeiter hast du eigentlich?
Dr. Nicole Grünewald: Wir sind im Moment zwölf Mitarbeitende. Das ist eine ganz schöne Zahl, weil die kriegt man alle noch gut um einen Tisch.
Heike Drexel: Cool! Aber das ist eben eine Wahnsinnsarbeit. Und bevor wir jetzt eigentlich noch mal intensiv über die Herausforderungen bei der IHK und vor allem eben auch der Unternehmen in der Stadt Köln sprechen, möchte ich von dir gerne wissen, wie es dazu gekommen ist, dass du Unternehmerin geworden bist.
Ich habe ja ein bisschen recherchiert und laut Wikipedia steht in deinem Lebenslauf, dass deine Mutter Lehrerin war und dein Vater Konzernanwalt. Also das heißt, es ist dir ja jetzt nicht gerade so dieses Unternehmergen in die Wiege gelegt worden. Und dann hast du eben schon mit 25 Jahren, 1998, dich selbstständig gemacht mit deinem Partner zusammen, mit dem Jörg Lentz. War das schon dein Plan als Kind, Unternehmerin zu werden? Wolltest du einfach schon immer Chefin sein?
Dr. Nicole Grünewald: Tja, da müsste ich jetzt mal überlegen. Also bei Wikipedia wird unterschlagen, dass ich tatsächlich einen Großvater hatte, der Unternehmer war. Im Kalksandsteinbereich war der tätig mit vielen hundert Mitarbeitenden. Und mein anderer Großvater war Erfinder. Also von daher, ich bin da genetisch vielfältig vorgeprägt.
Aber nein, eigentlich wollte ich Journalistin werden. Und deshalb habe ich Kommunikationswissenschaften studiert und bin dann durch ein Praktikum in die Werbung reingeraten. Weil ich brauchte ganz schnell ein Praktikum und eine Werbeagentur hat gesagt: “Ach komm, du kannst einfach bei uns anfangen.” Und so bin ich dann, ohne dass ich es eigentlich wollte, in der Werbung gelandet.
Und dann war das Ende der 90er so eine Zeit, wo sich sehr viele selbstständig gemacht haben. Das war auch nicht so sonderlich schwer, ehrlich gesagt. Also man hat das überall gesehen, dass Leute einfach sich ausgegründet haben. Und dann kamen also Freunde von mir, mit denen ich zusammengearbeitet habe für große Agenturen, auf mich zu und haben gesagt: “Mensch, wollen wir uns nicht selbstständig machen?” Und dann habe ich gedacht: “Ach Gott, ja, warum denn eigentlich nicht?” Und das war eine ziemlich spontane Entscheidung, die ich aber bis zum heutigen Tag keinen einzigen Tag bereut habe.
Heike Drexel: Aber du hast es eben nicht alleine gemacht, du hast es ja mit einem Partner gemacht. Der ist, glaube ich, auch ein bisschen älter als du. Weil er ist ja jetzt schon aus dem Business wieder ausgestiegen. Wie seid ihr denn damals so zusammengekommen?
Dr. Nicole Grünewald: Also wir kannten uns tatsächlich über eine Werbeagentur, in der wir gemeinsam als Freiberufler gearbeitet haben. Und die 90er-Jahre waren schon eine ziemlich wilde Zeit in der Werbung.
Heike Drexel: Sex, Drugs and Rock ‘n’ Roll, oder was? An was denkst du?
Unternehmerin Dr. Nicole Grünewald: Man erinnert sich und schweigt. Nein, also es war jetzt nicht so ein Nine-to-five-Job, sondern man kam irgendwann und man arbeitete bis spätnachts und dann kam so ein Catering-Dienst und man war halt unheimlich hip und kreativ. Und es war schon echt wild. Man hatte ja so eine Art Monopol. Die Kunden konnten ja damals noch nicht selber mit dem Rechner alles alleine machen, sondern wenn man da keine Werbeagentur hatte, hatte man ein Problem. Und ja, diese Zeit haben wir sehr genossen. Und dann haben wir aber irgendwann gedacht, na ja, also das, was der Agenturchef da macht, für den wir arbeiten, das können wir wahrscheinlich eigentlich auch ganz gut alleine machen.
Und ich war damals, wie du schon gesagt hast, 25, ich sah aber irgendwie so aus wie 15. Und dann habe ich gedacht, es ist vielleicht ganz clever, wenn du dir jemanden dazunimmst, der schon ein bisschen seriöser wirkt. Und am Anfang war das auch lustig. Bei unseren ersten Gesprächen mit der Bank haben die immer alle gedacht, ich bin irgendwie die Assistentin oder die Freundin, aber auf gar keinen Fall eine 50-prozentige Geschäftspartnerin. Wenn die mich dann ein bisschen näher kennengelernt haben, haben die dann aber schon festgestellt, dass ich tatsächlich eine geschäftsführende Gesellschafterin bin.
Und es hat sich aber sehr gut ergänzt. Also ich bin ein großer Fan von gemischten Führungsteams, weil ich das 20 Jahre lang wirklich mit meinem Geschäftspartner auch sehr gut gelebt habe. Wir waren völlig unterschiedlich und haben uns perfekt ergänzt und auch sehr viel Spaß miteinander gehabt über die 20 Jahre mit unserer Agentur.
Heike Drexel: Hattet ihr auch so ein bisschen diese Rollen, einer der Außenminister und die andere Innenministerin oder umgekehrt eben?
Dr. Nicole Grünewald: Also er war schon am Anfang fürs Geld zuständig. Das war auch so, weil die Banker eh nicht mit mir gesprochen haben, weil die mich ja nicht ernst genommen haben. Und wir haben am Anfang sehr viel für Konzerne gearbeitet, die ja auch – damals wie heute noch – sehr männlich dominiert waren. Da war das schon ganz gut, wenn man ihn dabei hatte. Aber, wie gesagt, auch da, wenn die mich mal dann kennengelernt haben – ich war mehr so der kreative Part in der Agentur –, dann haben die mich auch schnell ernst genommen. Und dann haben wir auch für große Konzerne und auch da für die Vorstände sehr gut gearbeitet.
Das war eine Zeit, wo noch sehr viel möglich war und es nicht so viele Grenzen gab. So nach 20 Jahren, wenn ich jetzt zurückschaue – ich habe die Firma jetzt 24 Jahre –, das ist jetzt schon eine andere Zeit, das ist ein etwas normalerer Job. Also meine Mitarbeitenden arbeiten nicht mehr sieben Tage die Woche, sondern wir versuchen das tatsächlich irgendwie von 9 bis 18 Uhr hinzukriegen. Es ist völlig anders strukturiert als früher, viel digitaler, was natürlich auch viel effizienter ist. Es ist jetzt eine ganz andere Zeit, eine ganz andere Arbeitsweise. Aber Spaß macht es immer noch.
Heike Drexel: Super. Ja, das heißt auch von der Arbeit her natürlich, dass diese Vereinbarkeit von Familie und Beruf wahrscheinlich besser klappt heute als damals. Weil ich hatte auch noch so ein bisschen dieses Bild: Ja, bei so einer Werbeagentur, die arbeiten da rund um die Uhr und hören gar nicht mehr auf.
Dr. Nicole Grünewald: Also es ist immer noch eine Dienstleistungsbranche. Also wir sind Dienstleister für unsere Kunden und wenn unsere Kunden was von uns wollen, dann wäre es besser, wenn sie das dann auch bekommen. Also es ist jetzt nicht der absolute Traum in Vereinbarkeit von Familie und Beruf, muss man sagen. Gerade in der Kundenberatung, die Kunden möchten dann schon immer, wenn sie anrufen, bestenfalls den gleichen Ansprechpartner oder die gleiche Ansprechpartnerin haben. Aber es ist halt ein Beruf, der immer noch sehr, sehr kreativ ist und der sehr viele Möglichkeiten eröffnet und wo man sich auch verwirklichen kann. Und das Schöne ist halt, dass man oft was schafft, was man dann ja auch sieht, also wenn man so eine Plakatkampagne macht und dann fährt man durch Köln und dann hängt die überall.
Heike Drexel: Ich glaube, ihr hattet auch diese “Ein Herz für Köln”, diese Kampagne mit den ganzen Feuerwehrleuten und so.
Dr. Nicole Grünewald: Genau.
Heike Drexel: Ja, super.
Dr. Nicole Grünewald: Ja, ja, wir haben jetzt diese 150 Jahre Feuerwehr begleitet. Wir haben auch das neue Logo für die Feuerwehr Köln gemacht. Wir haben auch das Logo damals für das Erzbistum Köln gemacht. Und wenn man das dann überall sieht, da denkt man sich: “Wow, cool, das kommt aus unseren Köpfen.”
Heike Drexel: Darauf ist man dann stolz.
Dr. Nicole Grünewald: Und ja, das ist schon ein echter Asset an unserem Job, dass man was schafft und was Kreatives schafft, was sich dann auch danach im Stadtbild wiederfindet.
Heike Drexel: Ja, das kann ich mir gut vorstellen. Hattet ihr eigentlich einen Businessplan damals, als ihr gegründet habt?
Dr. Nicole Grünewald: Sorry, aber ich glaube, in der Werbung hatte damals niemand einen Businessplan.
Heike Drexel: Okay.
Dr. Nicole Grünewald: Also wir hatten auf jeden Fall keinen. Wir hatten allerdings richtig Lust, zu arbeiten. Und am Anfang war das so, im ersten Jahr – wir waren das ja noch von der Agentur davor gewöhnt –, da haben wir wirklich zwischen 18 und 20 Stunden am Tag gearbeitet. Aber wir wollten das auch, wir fanden das auch cool und hip. Und es war halt alles neu und wir haben uns unseren Kundenstamm komplett bei null aufgebaut.
Wir hatten damals das Glück, dass wir natürlich für sehr viele Agenturen freiberuflich tätig waren. Das waren wir dann, als wir am Anfang die eigene Agentur gegründet haben, auch noch. Aber viele unserer damaligen Beraterinnen aus den Agenturen sind dann in Unternehmen gegangen, viele in Konzerne, zur Metro, zum Kaufhof, damals E-Plus, zu Versatel, also alles ganz, ganz große Konzerne. Und die haben dann gesagt: “Ach Mensch, mit den beiden haben wir doch damals schon gut in der Agentur zusammengearbeitet. Jetzt haben die selber eine, wie praktisch. Dann beauftragen wir die doch mal.” Und so sind wir sehr schnell an sehr große Kunden gekommen.
Heike Drexel: Also Empfehlungsmarketing im Grunde genommen.
Dr. Nicole Grünewald: Genau. Also wir hatten uns bewährt, die wussten, auf uns kann man sich verlassen, wir sind kreativ und gleichzeitig halten wir das, was wir versprechen. Das ist ja nicht immer so, das kriegt man ja nicht immer so in einer Agentur. Oft sind die ja entweder sehr kreativ oder sehr zuverlässig. Und wir hatten beides. Und da sind wir dann herumgereicht worden und hatten halt sehr große Etats auch direkt und sehr interessante Kunden. Und das hat sich eigentlich bis heute fortgesetzt. Also so richtig, dass man jetzt so Kaltakquise gemacht hätte – das haben wir zwischendurch, glaube ich, auch mal, einfach mal, um zu gucken, ob das klappt, aber Empfehlungsmanagement ist schon viel besser.
Heike Drexel: Ja, davon träumt jeder.
Kirchenwerbung und das passende Wording
Heike Drexel: Sag mal: Hast du eigentlich so eine Geschichte, die dir irgendwie so einfällt? Ich meine, wir lieben ja immer alle Geschichten. So mit einem Kunden, wo du sagst so: “Oh, das war jetzt irgendwie mal so total mein Highlight”?
Dr. Nicole Grünewald: Also eine ganz lustige Geschichte war: Es war irgendwie so ein Mittwochnachmittag und dann rief ein früherer Bekannter von mir an. Der war früher der Kaplan gewesen in meiner Pfarrei. Ich war brav Messdienerin, meine Mutter katholische Religionslehrerin. Und der sagte: “Mensch, Nicole, du hast doch eine Agentur. Hast du nicht Lust, den Weltjugendtag zu betreuen?” Und ich wusste überhaupt nicht, was ein Weltjugendtag war, zu dem Zeitpunkt. Und dann hat der gesagt: “Nein, das ist ein riesiges Fest hier. Und du bist so gut katholisch und wir brauchen halt eine Agentur, die auch weiß, worum es beim Thema Glauben geht. Die ganzen großen Agenturen wissen das irgendwie nicht. Aber du musst wissen, da sind halt die ganzen Big Shots dabei, Springer & Jacoby, Jung von Matt. Aber wir fänden das gut, wenn du deinen Hut in den Ring wirfst.”
Und dann habe ich gedacht: “Na ja, gut, also mehr als verlieren kann man da ja nicht.” Und dann sind wir in den Pitch rein und haben den wirklich gegen die ganzen großen Agenturen gewonnen. Und vorher, als ich im Studium ein Praktikum gemacht hatte in meiner ersten Agentur, da hatte ich schon für die evangelische Kirche gearbeitet. Das war so das erste Mal, dass Kirche Kommunikation gemacht hatte.
Heike Drexel: Bist du sozusagen ökumenisch unterwegs auch?
Dr. Nicole Grünewald: Genau. Das war die evangelische Kirche und dann habe ich gedacht: “Na ja, das, was du da gemacht hast, das schadet zumindest mal nicht.” Also da hatte ich dann schon erste Erfahrungen gesammelt. Und das haben wir quasi für die katholische Kirche dann umgesetzt. Das war also eine ganz irre Zeit, weil das halt auf beiden Seiten sehr viel mit Ehrenamt zu tun hatte. Und ich habe dann katholische Kirche mal so von innen kennengelernt. Und da waren halt ganz, ganz viele andere katholische Player daran beteiligt. Also da war natürlich dann das Domradio, Kolping, die Malteser etc. pp. Man hat sich dann immer getroffen.
Und das hat dann dazu geführt, dass wir nach zwei, drei Jahren eigentlich so die Agentur im katholischen Umfeld waren. Weil die haben uns über den Weltjugendtag kennen und schätzen gelernt und haben dann gesagt: “Mensch, komm. Wenn ihr dafür gearbeitet habt, dann könnt ihr das für uns auch.” Und das war für uns wirklich so ein Tor in die Kirchenwerbungswelt. Und das war ein ganz besonderes Feld. Weil die katholische Kirche war irgendwann mal vor 2.000 Jahren führend in der Werbung, also allein die Kirchenglocken, das Kreuz als Erkennungszeichen. Das ist dann aber zwischendurch verloren gegangen und wir durften das dann wieder etwas professionalisieren. Und wir haben dann für ganz viele katholische Institutionen und Verbände gearbeitet, unter anderem eben auch für das Erzbistum Köln, für den Kölner Dom, für das Bistum Essen. Und das ist ja eine ganz spannende Art und Weise, Kommunikation zu machen, wenn es um den Glauben geht.
Aber mein Geschäftspartner ist evangelisch tatsächlich. Und deshalb haben wir auch immer schon für evangelische Kunden auch genauso gerne mitgearbeitet. Auch für das Gemeinschaftswerk Evangelischer Publizistik arbeiten wir nach wie vor. Aber das ist eine eigene Welt mit einer eigenen Sprache, mit eigenen Regeln.
Heike Drexel: Was ist da so besonders?
Dr. Nicole Grünewald: Ja, das geht ja schon los mit so Wörtern. Also als wir angefangen haben, für den Weltjugendtag zu arbeiten, haben wir immer gesagt: “Mensch, wir müssen doch vermitteln, dass das Spaß macht.” Und dann guckte uns ein Prälat ganz entsetzt an und sagt: “Ja, Frau Grünewald, Spaß, das ist doch böse. Also Spaß ist doch was auf Kosten anderer.” Und dann haben wir gesagt: “Nein, also beim besten Willen nicht, Spaß ist Spaß.” Dann habe ich gesagt: “Wie würden Sie das denn nennen?” Da hat er gesagt: “Wir nennen es ‘Freude’.” Da habe ich gesagt: “Gut zu wissen.” Und bei den anderen Präsentationen sind wir dann immer hin und haben gesagt: “Das muss ja Freude bereiten.” Und da hatten wir direkt schon einen Fuß in der Tür. Also es ist wirklich so.
Heike Drexel: Das Wording.
Dr. Nicole Grünewald: Wenn man dieses Thema hat, da gibt es halt so Wörter, die sind anders besetzt als im Rest der Welt. Und wenn man das dann mal weiß, kann man damit gut umgehen. Es ist auch immer ein bisschen traurig zu sehen, dass so Wörter dann auf einmal was anderes bedeuten, ohne dass die meisten Leute das wissen. Aber es ist eine sehr interessante Erfahrung. Und mein Learning war: Es ist Freude. Also wir haben dann kommuniziert, dass der Weltjugendtag Freude macht.
Heike Drexel: Echt spannend. Aber ich meine, mit den Wörtern, da hast du schon recht. Ich merke das vor allen Dingen auch, was die Sprache angeht, wenn ich mir so Podcasts anhöre. Manche, die halt dann auch in einer bestimmten Altersgruppe sind, da sind natürlich ganz viele englische Wörter drin, da ist jedes zweite Wort englisch. Also wenn du dann kein Englisch kannst, kannst du wirklich eigentlich diesem deutschen Podcast nicht zuhören, weil das ist Wahnsinn. Also das macht schon so dieses Community-Gefühl tatsächlich etwas aus. Gibt es so Wörter, die man eben in dieser Agenturwelt tatsächlich eigentlich auch benutzt? Dieses “pitchen” ist ja so ein Wort.
Dr. Nicole Grünewald: Ja, Pitch und Briefing. Also das Agenturbusiness kommt schon – die großen ersten Agenturen gab es in Amerika und wenn man halt früher cool sein wollte, dann hat man das auch so gemacht. Aber es ist jetzt kein Muss. Also, wie gesagt, wir sind aus dieser Zeit, wo das alles so sehr wild vorher war, schon jetzt auf dem Boden der Tatsachen angekommen in der ganzen Branche. Und von daher, also früher war das auch lustig, was dann da immer auf den Visitenkarten stand. Also das war dann Creative Director of irgendwas und Art Director. Und damals war das dann auch nicht die Putzkraft, sondern Cleaning Management hieß das dann. Also von daher, das war schon auch eine ganz eigene Sprachwelt in der Agentur.
Heike Drexel: Und heute? Was würde da jetzt heute stehen?
Dr. Nicole Grünewald: Also das hat sich völlig normalisiert. Das ist dann Grafiker oder so was.
Heike Drexel: Okay. Also da wieder zurück zu den Wurzeln?
Dr. Nicole Grünewald: Das ist auch jetzt normal in Deutsch schön.
Tipps zur Selbstständigkeit – Umgang mit Krisen
Heike Drexel: Okay. Gerade weil wir noch mal so ein bisschen bei dem Thema sind, ich finde das einfach immer so spannend: Was kannst du eigentlich da noch mal jemandem, der sich jetzt heute selbstständig machen würde, so für Tipps geben, auf was der achten sollte?
Oder noch mal ein Stück zurück gefragt: Gab es eigentlich auch mal Momente, wo du sagst: “O Gott, jetzt höre ich auf” oder “Jetzt steigt mir das alles über den Kopf” oder “Jetzt gibt es eben eine Krise, ich habe auf einmal vielleicht” – weiß ich nicht – “nicht genug Umsätze, ich kann die Gehälter nicht mehr zahlen” oder so? Ich weiß nicht, ob es so was irgendwann mal gab in deinem jetzt langen Agenturleben.
Dr. Nicole Grünewald: Krisen gibt es ja interessanterweise permanent. Also eine ziemlich schlimme Krise war diese Dotcom-Krise und dann auch der 11. September, als die Flugzeuge da in das World Trade Center reingeflogen sind. Am nächsten Tag sind bei uns alle Jobs gecancelt worden, alle. Oh, gecancelt ist auch ein englischer Begriff.
Heike Drexel: Was?!
Dr. Nicole Grünewald: Also die Kunden haben angerufen, haben gesagt: “Na ja, wahrscheinlich geht jetzt eh die Welt unter. Und warum sollen wir denn dann noch Kundenmagazine oder Mitarbeitermagazine machen?” Und wir haben da gesessen und dann haben wir erst mal geguckt: “Wie lange kommen wir denn jetzt durch ohne Kunden und ohne Aufträge?” Und dadurch, dass das halbe Jahr davor ein sehr gutes halbes Jahr war, haben wir gedacht: “Na ja, gut, also so vier, fünf Monate kriegen wir das alles durchfinanziert, aber dann sollte es besser wieder losgehen.” Und es ging dann zum Glück schon früher wieder los. Aber dieser September, Oktober, November, da haben wir gedacht: “Ui, ui, ui.”
Ja, das war lustig. Wir hatten damals die Agentur genau in der Innenstadt, an der Ehrenstraße. Und da waren noch andere Agenturen um uns herum und wir haben dann immer so von oben – wir waren unterm Dach – geguckt. Und die anderen, die putzten dann ihre Rechner und dann irgendwann räumten die die Rechner weg und irgendwann waren die Firmen leer und dann haben wir gesagt: “Wow.”
Heike Drexel: Was?! Gott, das ist ja richtig gruselig.
Dr. Nicole Grünewald: Also das war ein richtiges Agentursterben danach, weil es ja nicht nur uns so gegangen war. Und da wusste man, es ist immer besser, wenn man ein Polster hat. Also das schadet zumindest nicht. Und dann ging das aber irgendwann wieder los. Und das war auch eine schöne Erkenntnis, dass man halt weiß, es gibt Krisen und dann gibt es große Unsicherheit und dann ist so mit das Erste, was Kunden machen, erst mal die Werbung zu stoppen, weil man weiß ja nicht. Man weiß ja eh nicht, was kommt. Und wofür soll man denn dann noch werben? Also wir waren immer so die Ersten, die es dann getroffen hat. Aber wenn man dann gemerkt hat: “Ach Gott, das Leben geht ja doch weiter erstaunlicherweise”, dann ging auch meistens die Werbung weiter.
Und was auch eine gute Erfahrung ist: Wir haben uns nie auf eine Branche konzentriert. Weil auch die meisten Wirtschaftskrisen hatten ja irgendwas mit Branchen zu tun. Also wir erinnern uns zum Beispiel an die Bankenkrise. Wenn wir jetzt nur Banken gehabt hätten, dann wäre es uns auch nicht so gut gegangen in der Zeit. Wir hatten da in der Zeit eine Bank, das war zu verkraften. Also wir haben uns immer sehr diversifiziert. Wir haben immer für ganz verschiedene Branchen gearbeitet. Die Kirche war ja auch so ein bisschen weg vom Markt. Das war also eine ganz gute Sache, kann ich nur empfehlen.
Heike Drexel: Noch gibt es die Kirche wirklich.
Dr. Nicole Grünewald: Noch gibt es die, genau. Und das würde ich auch jedem, der neu gründet, empfehlen, sich möglichst breit aufzustellen, also sich nicht in so eine komplette Abhängigkeit zu begeben. Also das hat bei uns sehr gut geklappt. Wir hatten immer mehrere Standbeine, wir haben auch ein sehr breites Interesse gehabt.
Das Tolle, was ich an dem Job also jeden Tag genieße, ist, dass man sich in ganz unterschiedliche Branchen immer neu einarbeiten kann. #Kommunikation funktioniert tatsächlich immer nach den gleichen Regeln, aber die Branchen sind halt alle unterschiedlich. Und deshalb ist kein Tag langweilig und es sind immer neue Branchen, die man auch betreuen darf. Und dann kann man sich da so reinarbeiten und dann ist das immer neu und aufregend und spannend und danach weiß man wieder viel mehr und es wird nie langweilig. Und der Vorteil ist halt, wenn man verschiedene Branchen hat, dass man eben, wenn dann eine Krise kommt, da nie so komplett betroffen ist, sondern dass es immer noch irgendeinen Kunden oder eine Kundin gibt, die dann noch weiterarbeiten möchte mit einem.
Regeln der Kommunikation
Heike Drexel: Weil du sagst, Kommunikation funktioniert immer nach den gleichen Regeln, da bin ich jetzt einfach neugierig: Kann man diese kurz benennen?
Dr. Nicole Grünewald: Es kommt natürlich mittlerweile auf die Medien an, aber es hilft, wenn man einen USP hat, also wenn das Unternehmen was hat, was jetzt nicht so viele andere haben. Und dann muss man halt schauen: Was sind die Zielgruppen? Und dann muss man schauen: Wie erreicht man die? Also das ist jetzt sehr verkürzt gesagt.
Heike Drexel: USP, Unique Selling Point, heißt?
Dr. Nicole Grünewald: Also man muss halt schauen: Was ist das, was mich besonders macht in meinem Unternehmen? Dann: Wen könnte das besonders interessieren? Und wie erreiche ich die? So. Und das war, als ich angefangen habe mit Werbung, sehr einfach, weil da gab es noch nicht so viele Medien. Und mittlerweile ist das ja so, es gibt so viele Kanäle.
Heike Drexel: Und die sozialen Medien vor allen Dingen.
Dr. Nicole Grünewald: Genau. Ja, viel schneller. Da kann der Kunde oder die Kundin auch antworten. Das war ja damals bei Anzeigen und TV-Werbung etwas einfacher. Da hat man so nach draußen gestrahlt und was die dann davon gehalten haben, das hat man dann festgestellt, wenn sie entweder gekauft haben oder sich dafür interessiert haben oder nicht. Jetzt mit den sozialen Medien kriegt man ein direktes Feedback, aber man kann die Zielgruppen natürlich auch viel genauer erreichen. Also es wird eigentlich immer besser in der Werbung, die Leute schön erreichen zu können. Aber es wird auch immer anstrengender, weil ich halt so viele Kanäle habe.
Heike Drexel: Ja, zum Beispiel Podcasts ja auch.
Dr. Nicole Grünewald: Ja, genau.
Heike Drexel: Das ist ja auch jetzt ein Kanal. Also ganz viele große Unternehmen nutzen das ja auch schon. Bei den kleineren dauert es sicherlich noch eine Weile, aber auch da jetzt so von Audi irgendwie oder von der Telekom gibt es ja auch schon Podcasts. Die nutzen das ja auch.
Dr. Nicole Grünewald: Ja, das ist gerade, wenn man so ein bisschen erklärungsbedürftigere Sachen hat, die man jetzt nicht zwingend in einen Post reinkriegt mit einem Satz.
Heike Drexel: Genau.
Dr. Nicole Grünewald: Da ist das natürlich super, wenn man dann ein bisschen mehr Zeit hat. Und auch das bindet natürlich die Kunden anders. Man kann noch viel mehr persönliche Sachen da reinstreuen, das interessiert ja auch immer.
Ja, es gibt so ein paar Regeln, da kann man sagen, die funktionieren ganz gut. Aber es muss natürlich immer feingetunt werden und genau angepasst werden auf die Kundin und den Kunden oder das Produkt.
Erste Erfahrungen mit der IHK – die Wirtschaftsjunioren
Heike Drexel: Jetzt hattest du vorhin gesagt so von wegen, das hast du gelernt, dass es nach Krisen wieder weitergeht. Ich habe ja jetzt deinen Lebensweg schon ein bisschen verfolgt. Wir haben vorhin mal darüber gesprochen, so vor zehn Jahren ungefähr sind wir uns das erste Mal, glaube ich, begegnet, bei dem Frauentag von der IHK, den du ja damals ins Leben gerufen hattest mit anderen Damen. Und damals warst du, glaube ich, Vizepräsidentin, wenn mich nicht alles täuscht. Und jetzt bist du ja Präsidentin. Das leitet jetzt eben sehr gut über zu diesem ganzen Themenblock zu der IHK. Du bist jetzt reingekommen über eure Initiative hier mit dieser NewKammer. Kannst du da einfach mal ein bisschen was dazu erzählen, wie es dazu gekommen ist, mit wem du das alles gemacht hast und warum du es vor allen Dingen auch gemacht hast, die ganze Historie, so ein bisschen?
Dr. Nicole Grünewald: Sehr gerne. Dann fange ich tatsächlich noch ein bisschen früher an. Also ich habe ja mich sehr früh selbstständig gemacht und viele meiner Freundinnen und Freunde haben entweder noch studiert oder waren irgendwo angestellt. Und für meinen Geschäftspartner war das auch die erste Firma, die er selber gegründet hat. Und dann habe ich gedacht, manchmal braucht man halt doch so ein bisschen Austausch und ein bisschen Tipps und Tricks. Und da guckt man sich ja um, wo man das herbekommen kann. Und dann kriegte man ja bei Firmengründung so ein IHK-Magazin zugeschickt und da war von den Wirtschaftsjunioren die Rede. Und dann habe ich gedacht: “Ach Mensch, die sind wahrscheinlich alle so jung oder so alt wie du und da gehst du mal hin.”
Und das war in der IHK. So bin ich dann da halt in die IHK getrippelt, damals noch in so einem H&M-Kleidchen. Und wie gesagt, ich sah halt sehr jung aus. Dann bin ich mit diesem Paternoster in den ersten Stock gefahren, was ich auch schon ziemlich cool fand, muss ich sagen. Dann bin ich in das sogenannte Juniorenzimmer, was es auch immer noch gibt. Und dann saßen da alles so Leute so Ende 30 und ich habe gesagt: “Sorry, ich bin hier wohl falsch. Ich wollte zu den Wirtschaftsjunioren.”
Heike Drexel: Die sind bis 40, glaube ich, nicht?
Dr. Nicole Grünewald: “Wir sind die Wirtschaftsjunioren.” Und dann habe ich gesagt: “Nein, das kann ja nicht sein, ihr seid ja alle schon ziemlich alt.” Und dann haben die gesagt: “Na ja, aber komm doch trotzdem mal rein.” Und das war dann der Arbeitskreis Wirtschaftspolitik. Ich hatte damals nicht so wirklich viel Ahnung von Wirtschaftspolitik. “Da”, habe ich gedacht, “kannst du noch was lernen.”
Und das waren dann wirklich Freundschaften fürs Leben, die da entstanden sind. Also das waren viele Kölner Unternehmerinnen und Unternehmer, die halt auch teilweise aus ganz traditionellen Familienunternehmen kamen und die also wirklich ganz viel Erfahrung schon mitgebracht haben. Und wir haben zusammen so tolle Dinge gemacht. Also wir haben einen Förderkreis gegründet, wir haben Podiumsdiskussionen gemacht. Wir hatten richtig Spaß. Wir haben uns für die Region eingesetzt, wir haben uns für die Unternehmen eingesetzt und haben Freundschaften dabei geknüpft. Das war so meine erste Erfahrung mit der IHK und die war halt zu 100 Prozent toll.
Heike Drexel: Das mit den Wirtschaftsjunioren – Entschuldigung, wenn ich da noch mal kurz einhake. Weil ich hatte tatsächlich auch ein Interview hier mit einem Solinger Unternehmer, mit dem Herrn Barich. Hallo Herr Barich. Und der hat das auch damals erzählt. Der ist ja da auch ganz jung reingekommen, hat also eine Firma übernommen, ein Familienunternehmen, Traditionsunternehmen. Und da hat er wahnsinnig viel rausgezogen. Da hat er genau das Gleiche erzählt wie du jetzt. Also insofern ein wahnsinniges Lob an die Wirtschaftsjunioren, ein super Netzwerk.
Dr. Nicole Grünewald: Ja, generell an Netzwerke. Also Netzwerke sind so wichtig, weil man sich da auch sehr viel Expertise holen kann, die man jetzt alleine sonst nicht bekommen hätte. Und das Schöne war ein sehr vertrauensvoller, sehr netter und persönlicher Austausch.
Wahl zur Vizepräsidentin – Frauen bei der IHK
Dr. Nicole Grünewald: Und dann waren die ja alle schon Ende 30 und mit 40 ist da Ende. Dann haben halt ein paar gesagt, sie würden jetzt dann mal in die Vollversammlung gehen. Also das ist auch sehr gang und gäbe. Die Wirtschaftsjunioren ist ein bisschen so der Recruiting Pool für die Vollversammlung. Und dann war ich jetzt halt ja noch nicht so alt, habe aber gedacht: “Ach komm, wenn die jetzt in die Vollversammlung gehen, gehst du auch.”
Und wir hatten damals bei den Wirtschaftsjunioren mal ein Projekt, das haben wir dann auch in einer Vollversammlung mal vorgestellt. Und das fand ich da echt ein bisschen verrückt. Weil da waren halt hauptsächlich Männer, also ich würde mal sagen, so 99 Prozent Männer in der Vollversammlung, und die wurde noch geleitet von dem Baron Oppenheim. Und das war schon ein bisschen so wie bei Königs am Hof. Also da wurde auch nicht so viel diskutiert, sondern da wurde eher so ein bisschen regiert. Und dann habe ich mir das so angeguckt als Ende-20-jährige Unternehmerin und habe gesagt: “Leute, das kann ja irgendwie nicht sein, dass das jetzt unsere Wirtschaft ist, also die Repräsentanten unserer Wirtschaft. Weil unsere Wirtschaft ist doch nicht nur 60 und männlich.”
Heike Drexel: Heute nennt man das diese alten weißen Männer.
Dr. Nicole Grünewald: Die waren da alle, muss ich sagen. Die waren auch alle ganz nett, aber ich habe gedacht: a) Wo sind die Frauen? Und b) Wo sind denn die Jüngeren? Und dann habe ich gedacht: “Ach, komm.” Und dann probiert man das einfach mal. Und es ist ja tatsächlich eine demokratische Wahl. Dann habe ich mich da aufstellen lassen in meiner Wahlgruppe und bin auch direkt da reingewählt worden.
Also ich dachte, ich kenne die IHK ja schon ganz gut von den Wirtschaftsjunioren. Und dann habe ich gedacht: “Ach, komm, du willst ja schon hier so ein bisschen was ändern, weil du möchtest es ja ein bisschen jünger, ein bisschen weiblicher gestalten und ein bisschen diverser.” Weil Wirtschaft ist ja eigentlich auch divers und das ist ja auch das Tolle an der Wirtschaft, dass es da so viele Unterschiede gibt. Und in so einem Parlament, habe ich gedacht, wäre es ja eigentlich schöner, wenn die Unterschiede dann auch mal da sitzen und mitdiskutieren könnten. Und dann habe ich mich direkt als Vizepräsidentin beworben.
Das wurde schon sehr kritisch gesehen, aber ich habe dann auch argumentiert, warum ich das möchte. Weil da im Präsidium waren halt früher hauptsächlich Unternehmer auch mit sehr, sehr großen Firmen, also mit sehr, sehr vielen Tausenden von Mitarbeitenden. Und als ich mich dann da beworben habe, da habe ich gesagt: “Na ja, also über 90 Prozent aller Mitgliedsunternehmen einer IHK sind ja eigentlich eher kleine und mittelständische Unternehmen.” Und da habe ich gesagt, die würde ich eigentlich ganz gern repräsentieren. Und ich möchte auch gar keine neun Sitze, weil es gibt ja irgendwie neun Vizepräsidenten, sondern ich habe gesagt, ein Sitz würde mir dann auch reichen, aber den würde ich dann auch gerne nutzen, um diese 90 Prozent zu repräsentieren. Dann haben die sich alle angeguckt und haben gesagt: “Na ja, eigentlich hat sie ja recht.” Und dann bin ich direkt ins Präsidium gewählt worden. Und da war ich mit einer anderen Frau zusammen dann auch die erste Frau jemals in einem Präsidium der IHK Köln. Ich glaube, 210 Jahre oder so war die IHK da alt.
Heike Drexel: Boah! So alt ist die schon?
Dr. Nicole Grünewald: Und nach zweihundertsoundsoviel Jahren war ich dann tatsächlich die erste Frau im Präsidium, wo ich dann auch gedacht habe: “Na ja, das wird aber auch mal höchste Zeit.” Und das war auch lustig, weil man das nicht gewöhnt war, dass Frauen halt für die IHK dann auch in repräsentativen Funktionen tätig waren. Ich bekam dann viele Einladungen auch, wo ich sprechen sollte als Vizepräsidentin. Und da bekam ich immer so einen älteren Mitarbeiter der IHK an die Seite gestellt und dann hieß es immer: “Ach, wie schön, da haben Sie ja Ihre Assistentin mitgebracht.”
Heike Drexel: Das Déjà-vu zu damals, nicht? Das Déjà-vu.
Dr. Nicole Grünewald: Ja, genau. Und der sagte da: “Nein, das ist unsere Vizepräsidentin.” Da habe ich auch gesagt, das ist genauso wie damals in der Bank mit meinem Geschäftspartner. Als Frau ist man immer die Assistentin oder die Freundin oder was auch immer.
Heike Drexel: Das ist schon Wahnsinn, wie das in den Köpfen ist. Ich hatte letztens mal einen ganz interessanten LinkedIn-Post gesehen. Da hat jemand geschrieben: “Wenn du jetzt das Wort Chef hörst” – weil es ging um das Gendern, wie wichtig das ist. Es gibt ja viele, die sagen, das ist nicht wichtig, Chefin zu sagen. Aber zeichne mal einen Chef. Wenn du das Wort hörst, würdest du da eine Frau zeichnen?
Dr. Nicole Grünewald: Also ich ja, aber die meisten nicht.
Heike Drexel: Du würdest dich selber zeichnen, aber viele, glaube ich, nicht.
Dr. Nicole Grünewald: Also das war tatsächlich auch ein Lernprozess für die IHK, dass dann da auch Frauen in führenden Positionen waren. Wobei im Hauptamt, also die ganzen Mitarbeiten in der IHK …
Heike Drexel: Das ist ja sehr gemischt.
Dr. Nicole Grünewald: Da waren schon häufiger auch Frauen als Geschäftsführerin, aber nicht im Ehrenamt. Also das war eine rein männlich geprägte Domäne. Und wir waren damals nicht so viele Frauen in der Vollversammlung. Also ich glaube, wir waren zu siebzehnt. Und dann haben wir gesagt: “Also das möchten wir ändern.” Wir haben uns auch getroffen und haben halt gesagt: “Was machen wir denn jetzt?” Und dann haben wir gesagt: “Sichtbarkeit ist ein wirklich wichtiger Schritt zum Ziel. Wir müssen zeigen, dass Frauen in der IHK da sind und dass die auch eine Rolle spielen. Und wir möchten andere Frauen einladen.” Und da haben wir dann gemeinsam diesen Frauen-Business-Tag entwickelt, wo wir uns dann kennengelernt haben.
Heike Drexel: Genau, ja.
Dr. Nicole Grünewald: Und wir wollten einfach die Türen der doch sehr altehrwürdig männlich geprägten IHK dann auch für Frauen, für jüngere Frauen öffnen. Das haben wir dann getan. Und es sind schon beim ersten Frauen-Business-Tag über 800 Frauen dann unserem Ruf gefolgt.
Heike Drexel: Das war Wahnsinn, ja. Es war sehr beeindruckend.
Dr. Nicole Grünewald: Und wir waren so froh. Ja, weil stell dir mal vor, da wäre keine gekommen. Das wäre auch blöd gewesen. Ich glaube, wir hatten nur einen Schuss und der war direkt ein Treffer. Und diese Frauen-Business-Tage, die waren halt dafür da, um auch mal Sichtbarkeit dann …
Heike Drexel: Da haben sich ja auch viele Frauenvereinigungen so mal präsentiert, so Verbände und so.
Dr. Nicole Grünewald: Genau, viele Frauenverbände, Frauenvereinigungen, aber alle nur mit Wirtschaftsbezug. Die konnten sich da präsentieren, weil wir eben auch diese Vielfalt zeigen wollten, die es da gibt. Und es war eine irre Stimmung. Weil bei den ganzen Neujahrsempfängen und so, das war dann eher so ein Gemurmel, eher so tief, und beim Frauen-Business-Tag war das alles so eine Oktave höher. Und ich habe mich da sehr wohlgefühlt.
Und ich bin ja früher nicht so wirklich frauenpolitisch unterwegs gewesen. Weil gerade in der Agenturbranche, da war das jetzt nichts Außergewöhnliches, wenn man eine Frau war, die eine Agentur gegründet hat. Also da gab es echt ein paar von meiner Sorte. Das war jetzt nicht, wo ich gedacht habe: “Oh, ich bin hier die einzige Frau.” Das kam halt wirklich erst mit dieser Erfahrung als Vizepräsidentin, dass die da alle so komisch auf mich reagiert haben.
Heike Drexel: Da geht es deiner Kollegin, der Frau Gerfer, mit der ich ja auch ein Interview schon hatte, der Tina Gerfer, da natürlich ein bisschen anders, weil die ja im Maschinenbau ist als Geschäftsführerin.
Dr. Nicole Grünewald: Das ist eine andere Branche, genau. Aber in kreativen Berufszweigen sind ja Frauen dann doch eher normal. Also deshalb, in meinem Beruf hatte ich das nie und da hatte ich es dann sehr stark. Und da war ich aber auch ganz stolz, dass uns das dann gelungen ist, auch diese Domäne IHK für Frauen zu öffnen. Und das ist immer noch ein weiter Weg. Also ich meine, wir sind immer so rund 100 Leute in der Vollversammlung. 17 ist natürlich jetzt nicht so der Knaller. Ich glaube, im Moment sind wir so 40. Wir sind da auf einem richtigen Weg, ja, aber es ist halt immer noch ein bisschen schwieriger, auch Frauen fürs Ehrenamt zu gewinnen als Männer.
Heike Drexel: Es hat halt nach wie vor was mit dem Thema Vereinbarkeit zu tun.
Richtiges Netzwerken
Dr. Nicole Grünewald: Aber nichtsdestotrotz, also ich glaube, viele Frauen unterschätzen auch, wie wichtig Netzwerke sind. Und Netzwerke sind im Business das A und O. Also schon alleine: Ich erweitere meinen Horizont, ich lerne Leute kennen und wenn ich dann mal ein Problem habe, dann weiß ich, wen ich anrufen muss. Wenn ich irgendwie in einer Situation bin, wo ich sage: “Mensch, also da komme ich jetzt vielleicht nicht alleine durch”, auch da habe ich meine Kontakte, also gerade jetzt so im Rheinland.
Heike Drexel: Ich wollte gerade sagen, das ist jetzt eine Steilvorlage zum Thema Klüngel. Ich hatte doch glatt tatsächlich vor Kurzem ein Gespräch im Rahmen auch einer Netzwerkveranstaltung mit einer Anwältin, die mir erzählt hat, dass ein Kollege aus München sie nicht zurückrufen wollte, weil er Angst hatte: “Das ist ja hier in Köln alles Klüngel.” Also so quasi: “Das kann ja nichts sein.” Der hat die echt nicht zurückgerufen. Und sie hat ihn dann irgendwann mal auf einer Veranstaltung getroffen, hat ihn darauf angesprochen, warum er sich nicht meldet, und er hat ihr genau dieses Argument genannt. Das ist doch ein Hammer, oder?
Dr. Nicole Grünewald: Also so schlimm ist es nicht. Ich habe mich jetzt versichert, auch eben dadurch, dass ich jetzt ja auch über den DIHK bundesweit unterwegs bin. Also das, was in Köln Klüngel heißt, das gibt es tatsächlich in jeder Stadt.
Heike Drexel: Das gibt es natürlich!
Dr. Nicole Grünewald: In Köln hat es halt diesen wunderschönen Namen. Also Kölsch ist ja eh so eine schöne Sprache und Klüngel ist ja auch nett. Man muss da immer ein bisschen unterscheiden. Also es gibt Netzwerke und dann dieses: Wenn ich jemanden kenne, vertraue ich dem natürlich und dann kann es auch sein, dass ich den beauftrage. Aber es darf nicht zulasten anderer gehen. Ja, also in dem Moment ist es halt Klüngel in seiner schlechten Ausprägung. Und auch dafür würde ich jetzt nicht die Hand ins Feuer legen, dass es das in Köln nie gab.
Heike Drexel: Ich wollte gerade sagen, ich glaube, darüber haben wir uns auch schon mal so ein bisschen unterhalten, so bestimmte Namen.
Dr. Nicole Grünewald: Aber es ist schon so, also in Köln werden halt Netzwerke anders gelebt. Wir haben dieses ganze Karnevalsnetzwerk(, was natürlich in großen Teilen Männern auch nur offengestanden hat damals). Das ändert sich ja jetzt zum Glück. Dann gibt es diese Rotary Clubs, Lions Clubs, die auch früher sehr stark männlich dominiert waren. Dann ist Kirche natürlich auch ein Netzwerk, das jetzt auch nicht gerade besonders frauenfreundlich war über ein paar Tausend Jahre hinweg.
Heike Drexel: Zumindest die katholische Kirche nicht.
Dr. Nicole Grünewald: Also von daher, man sieht schon allein in der Aufzählung, dass Männer sehr gut wissen, wie man netzwerkt und zwar auch im beruflichen Kontext. Und die Frauen, die ich jetzt auch kennengelernt habe über die letzten Jahre, die sind alle privat wahnsinnig gut vernetzt. Für ihre Kinder und im Kindergarten und Schule und so, die sind überall vernetzt. Im privaten Bereich, da muss man die nur antriggern und da kommen irgendwie tausend Leute an.
Heike Drexel: Da sind sie Netzwerkqueens.
Dr. Nicole Grünewald: Absolut. Aber im Businessbereich dann heißt es: “Ach nee, und dann noch abends mit denen an der Bar sitzen und dann noch das machen und das noch alles.”
Heike Drexel: “Und ich will nicht alleine irgendwo hingehen und dann kenne ich da keinen und dann weiß ich nicht.”
Dr. Nicole Grünewald: Genau. Und das ist halt wirklich falsch. Also ich muss sagen, für mich war das auch eine Überwindung. Aber ich habe dann überlegt, ich muss jetzt mal aktiv Netzwerke aufbauen, weil ohne geht es nicht. Und natürlich denkt man sich am Anfang: “Mensch, wenn ich jetzt eine Freundin mitnehme zu der Abendveranstaltung, dann ist das doch total nett.” Aber es ist ja nun, wenn man ehrlich ist, so: Dann redet man halt den Abend mit der Freundin und lernt wirklich viele Leute dann nicht kennen. Also bin ich tatsächlich am Anfang auch extra alleine auf Netzwerkveranstaltungen gegangen.
Heike Drexel: Das mache ich auch.
Dr. Nicole Grünewald: Und das war dann schon doch erstaunlich, wie einfach das ist, also gerade in Köln und der Region. Ich glaube wirklich, dass es in Hamburg oder in München etwas schwieriger ist. Darüber berichten auch viele. In Köln ist es nun wirklich gar kein Problem. Also gerade wenn man jetzt neu ist, die Leute sind total neugierig, die sind ganz offen, die sind freundlich. Also man muss da überhaupt gar keine Sorge haben. Das sage ich auch wirklich vor allem den Frauen. Ich sage: “Geht doch einfach mal hin und probiert es mal aus.”
Und es gibt so viele interessante Netzwerkveranstaltungen. Also ob jetzt Kunst oder Kultur, es ist ja alles Netzwerk und man muss da einfach mal hingehen, einmal sich überwinden. Wenn man einmal gemerkt hat, es ist einfach schön, es macht Spaß, es ist total interessant, auch neue Leute kennenzulernen, wenn man das ein paarmal erlebt hat, dann …
Heike Drexel: Und man nimmt immer was mit. Es muss ja jetzt nicht wirklich gleich der Auftrag sein am Morgen, aber irgendwie eine Information mal oder irgendwas, was man später mal einfach braucht.
Dr. Nicole Grünewald: Genau, also man geht meistens nicht dümmer nach Hause, als man gekommen ist.
Heike Drexel: Das ist sehr schön formuliert. Genau.
NewKammer – erste Präsidentin der IHK Köln
Heike Drexel: Und das ist eine schöne Überleitung noch mal zu dem Thema mit dieser NewKammer. Was wollt ihr damit erreichen?
IHK Köln Präsidentin Dr. Nicole Grünewald: Also ich war dann ja fünf Jahre im Präsidium und ein Bekannter von mir hat dann gesagt: “Ja, ich könnte mir auch vorstellen, Präsident zu werden.” Das konnte ich damals eigentlich, wenn ich mir das so im Nachhinein überlege, noch nicht. Dann hat sich das aber anders ergeben. Und dann bin ich auch sehr spontan damals als Präsidentinkandidatin am gleichen Tag angetreten, ohne Vorbereitung. Das hat dann nicht geklappt. Es war recht knapp zum Glück. Also es war jetzt nicht so, dass meine Figur dann extrem beschädigt war.
Heike Drexel: Das war damals gegen den Herrn Görg, nicht?
Dr. Nicole Grünewald: Genau. Aber es war schon so, dass klar war, Herr Dr. Görg sollte das werden, und dann wurde er das auch. Und dann bin ich jetzt nicht jemand, der so gern geschlagen vom Platz geht. Also ich habe dann gedacht: “Okay, dir haben jetzt irgendwie acht Stimmen gefehlt. Das war jetzt ein bisschen dumm gelaufen, aber war auch alles sehr spontan.” Und dann habe ich gedacht: “Na ja, woran hat es denn gelegen?” Und dann habe ich festgestellt, ich hatte nicht die besseren Netzwerke, sondern Herr Görg hatte die besseren Netzwerke. Und da habe ich gedacht: “Gut, das ist ja eine Sache, an der man arbeiten kann.”
Dann habe ich das wirklich aktiv betrieben, habe dann geguckt: Wer hat denn Lust, sich auch in so einer IHK zu engagieren? Ich habe damals das Netzwerk Mittelstand geleitet. Das war ganz toll, weil da halt ganz viele interessierte mittelständische Unternehmerinnen und Unternehmer waren. Und in den Gesprächen so über die fünf Jahre, die so eine Amtszeit dauert, haben wir dann festgestellt, wir würden schon das eine oder andere in der Kammer gerne anders machen.
Und dann ist das ja immer so, wenn man sich zu vielen Leuten auf ein gemeinsames Ziel einigen muss, dann ist das nicht mehr so ein riesengroßes Ziel, sondern dann einigt man sich eher so auf den kleinsten gemeinsamen Nenner. Das war damals, dass wir gesagt haben: “Mensch, also ein bisschen digitaler sollte die Kammer schon werden und wir wollen die Kammer transparenter machen.” Das hatten wir ja mit dem Frauen-Business-Tag schon angefangen, dass wir mal die Tore geöffnet haben. Und da wollten wir weiter ansetzen und eben noch mehr auch jüngere Unternehmer, Start-ups, mehr Leute auch für die ehrenamtliche Arbeit in der IHK begeistern und auch noch mehr zeigen: Was kann eigentlich eine IHK alles so? Das ist nämlich eine Menge. Und dann haben wir gesagt: “Und wir glauben auch, dass wir das alles zu einem etwas besseren Preis-Leistungs-Verhältnis hinbekommen.” Und was mich auch geärgert hatte, war: Wir haben in der Region und in Köln so viele Themen, wo die IHK eine starke Stimme für die Unternehmerinnen und Unternehmer sein muss. Das ist auch ihre Aufgabe. Und unserer Meinung nach war das ausbaufähig, um das jetzt mal so zu sagen. Also das waren so unsere vier Themen, da konnten wir auch alle unterschreiben. Und dann sind wir als Wahlinitiative da reingegangen in die Wahl.
Heike Drexel: Ihr wart ja mit diesem türkisen Rand, nicht?
Dr. Nicole Grünewald: Genau. Wir haben uns da vor türkisen Hintergründen fotografieren lassen, weil wir gedacht haben, es können sich ja alle nicht unsere Namen merken, aber auf den Wahlfotos.
Heike Drexel: Es ist ein Wiedererkennungswert.
Dr. Nicole Grünewald: Es war superschwer, eine Farbe zu finden, die nicht irgendwie politisch besetzt war, ehrlich gesagt. Türkis war es damals nicht. Und dann haben wir gesagt: “Also wenn ihr Türkis wählt, dann bekommt ihr halt diese vier Punkte, eine stärkere Interessenvertretung, Digitalisierung und Transparenz.” Und ja, das haben dann auch ziemlich viele wahrgenommen, diese Wahlmöglichkeit.
Und dann bin ich halt wieder als Präsidentin angetreten zur Wahl und das hat geklappt. Und das ist auch wirklich ein Resultat gewesen von Netzwerkarbeit. Also ich hatte ein Netzwerk, das mich dann getragen hat. Viele aus dem Netzwerk sind dann auch in das Präsidium gewählt worden, sodass ich da auch von Anfang an nicht alleine war, sondern eine ganz, ganz tolle Truppe hatte, mit der ich bis heute halt extrem vertrauensvoll und ganz engagiert auch in einer Gemeinschaft zusammenarbeite. Das ist auch ganz wichtig.
Heike Drexel: Ihr habt ja noch drei Jahre vor euch.
Dr. Nicole Grünewald: Also zweieinhalb.
Heike Drexel: Oder zweieinhalb.
Dr. Nicole Grünewald: Wir sind jetzt genau bei der Halbzeit. Das war am Anfang auch wichtig, dass wir da als Team waren, weil es hatten mich ja nicht alle gewählt. Das ist halt immer bei einer strittigen Wahl so. Und da ging es dann auch darum, die andere Hälfte – es war recht knapp – auch davon zu überzeugen, dass wir da schon die richtigen Sachen vorhaben.
Und am Anfang, muss ich sagen, war das ziemlich turbulent. Aber wir haben dann wirklich fachlich gearbeitet und haben das langsam in die Richtung dann geführt, in die wir die Kammer führen wollten, und haben auch versucht, alle mitzunehmen und auch jetzt keinen wirklich zu verprellen, sondern wir haben uns dann auch angehört, was die Sorgen und Nöte waren der Leute, die jetzt davon nicht so überzeugt waren. Wir haben wirklich versucht, die zu integrieren, soweit es denn möglich war. Und das ist uns auch bei vielen gelungen.
Und jetzt haben wir wirklich ganz tolle Vollversammlungssitzungen und wir haben einen Konsens, dass wir gemeinsam die Region nach vorne bringen wollen. Darauf haben wir uns alle geeinigt. Und jetzt, muss ich sagen, macht es richtig Spaß. Also es ist ganz toll auch, was wir da gemeinsam erreichen. Es hat halt mit einer Idee angefangen und jetzt sind wir mittendrin im Doing. Und das ist eine Aufgabe, die mich auch sehr erfüllt. Das macht richtig viel Spaß.
Heike Drexel: Nicht nur Freude, sondern auch Spaß.
Dr. Nicole Grünewald: Ja, also tatsächlich beides.
Neue Herangehensweisen – Zusammenarbeit mit der Politik
Heike Drexel: Kannst du das noch ein bisschen mal konkretisieren, was ihr da so jetzt genau macht? Also irgendwie ein Projekt jetzt?
IHK Köln Präsidentin Dr. Nicole Grünewald: Also auf der einen Seite haben wir ja das Hauptamt. Das war noch lustig, so wie in den anderen Kammern vor vielen Jahren, so branchenmäßig aufgestellt. Spätestens durch die Corona-Pandemie hat sich dann herausgestellt, dass das nicht so sinnvoll ist, weil ja mehrere Branchen in unterschiedlicher Art und Weise betroffen waren. Und da ging es dann auch darum, dass das Hauptamt gemeinsam an solchen Themen auch wie “Wie retten wir jetzt die Unternehmen durch die Pandemie?” arbeitet. Und da sind halt so Elfenbeintürme nicht so förderlich.
Das heißt, im Hauptamt haben wir das jetzt anders strukturiert. Wir haben jetzt eine ganz große Gruppe an Mitarbeitenden, die sich um Aus- und Weiterbildung kümmert. Wir haben eine weitere, die nennen wir “Politik und Wirtschaft”, und die andere ist “Service und Beratung”. Und das heißt, wir arbeiten jetzt interdisziplinär und nicht mehr in so Branchengruppen zusammen, sondern wir gucken halt: Wie können wir unsere Region nach vorne bringen? Und wir sind halt politischer unterwegs. Das heißt, wir führen auch ganz viele persönliche Gespräche mit zum Beispiel den ganzen Landräten, mit den Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern.
Heike Drexel: Also zum Beispiel jetzt mit der Frau Reker, habt ihr da einen wöchentlichen Austausch oder gibt es da irgendwie so einen Jour fixe – weiß ich nicht – einmal im Quartal? Oder wie kann man sich das dann eigentlich vorstellen? Also ist das so ritualisiert oder ist das auf Zuruf?
Dr. Nicole Grünewald: Mit den Fraktionsvorsitzenden ist es tatsächlich mittlerweile ritualisiert. Weil da geht es ja dann um die Fachthemen. Und mit Frau Reker ist es so: Immer wenn was ansteht oder wir haben ein Thema zusammen, dann sind wir auch sehr vertrauensvoll in der Zusammenarbeit und simsen uns kurz an. Und dann gehe meistens ich schnell ins Rathaus rüber und dann kann man die Sachen schnell auch bilateral klären. Das schätze ich auch sehr.
Und unser Ansatz ist auch jetzt ein anderer als der unserer Vorgängerinnen und Vorgänger. Wir sehen uns schon als partnerschaftlichen Sparringspartner von Verwaltung. Also wir glauben, jeder, der in so einer Verwaltung arbeitet, der macht das ja auch, weil er die Region oder die Stadt nach vorne bringen möchte. Und wir sind halt diejenigen, die dann auch erklären müssen, wie man da Wirtschaft mitdenkt. Weil viele haben das nicht so auf dem Schirm. Und das ist auch gar kein böser Wille. Aber Unternehmen haben halt eine sehr große Rolle in so einer Stadt oder in einer Region, weil wir zahlen das halt zum größten Teil. Deshalb fänden wir es auch angemessen, …
Heike Drexel: Ohne Wirtschaft nichts los, ohne Moos.
Dr. Nicole Grünewald: … wenn Entscheidungen getroffen werden, dass man Wirtschaft mitdenkt. Und das ist eigentlich unsere Kernaufgabe. Und da ist es oft hilfreich, wenn man dann den einen oder anderen betroffenen Unternehmer oder eine Unternehmerin hat, die das dann noch mal aus eigener Sicht erklärt. Weil oft ist es so, dass man es einfach nicht genau weiß und dass man deshalb Entscheidungen trifft, die dann für uns nicht so nachvollziehbar sind. Und deshalb ist dieser permanente Dialog wichtig, um halt immer wieder zu sagen: “Mensch, wenn ihr das jetzt so und so macht, dann hat das die und die Konsequenz für die Wirtschaft.”
Aktuelle Themen und Struktur der IHK
Heike Drexel: Zum Beispiel das Thema ja mit der Mobilität. Also wir hatten uns ja kürzlich auch noch mal getroffen hier bei der Veranstaltung vom Kölner Presseclub. Da hattest du ja auch auf dem Podium gesessen. Der Titel war ja – wie war das? “Ist Köln schön hässlich?” oder so?
Dr. Nicole Grünewald: Ja, hübsch hässlich.
Heike Drexel: Hübsch hässlich, genau. “Ist Köln hübsch hässlich?” Und da ging es ja eben auch gerade um dieses Thema mit der Mobilität, mit den ganzen neuen Fahrradwegen, was ja alles toll ist an sich, aber natürlich für die Wirtschaft, die Läden, die beliefert werden müssen, vielleicht noch schwierig ist.
IHK Köln Präsidentin Dr. Nicole Grünewald: Genau, also dann eben auch genau das sind die Themen, die wir vorantreiben. Wir haben dann auch passend zu den Themen, die uns bewegen, Ausschüsse gegründet. Also früher, weil das Hauptamt natürlich in Branchen aufgeteilt war, hatten wir nur Branchenausschüsse.
Heike Drexel: Entschuldige, warte mal. Was ist jetzt noch mal Hauptamt? Was verstehst du eigentlich immer unter Hauptamt?
Dr. Nicole Grünewald: Das sind die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die in der IHK angestellt sind. Also das ist quasi unsere Verwaltung.
Heike Drexel: Okay, okay.
Dr. Nicole Grünewald: Das sind die, die die Arbeit machen.
Heike Drexel: Das ist dein Wording jetzt hier, deine Sprache.
Dr. Nicole Grünewald: Die IHK-Sprache.
Heike Drexel: Die IHK-Sprache, genau.
Dr. Nicole Grünewald: Da merkt man, ich bin auch schon zu lange dabei.
Heike Drexel: Genau, du bist schon voll integriert.
Dr. Nicole Grünewald: Also das ist quasi unsere Verwaltung und dann gibt es das Ehrenamt. Dazu gehöre ich als Präsidentin und die Vizepräsidenten und die Vollversammlungsmitglieder, aber eben auch alle Leute, also alle Unternehmerinnen und Unternehmer, die eigentlich einen anderen Job haben, aber die ihre Freizeit der IHK zur Verfügung stellen.
Heike Drexel: In den Ausschüssen?
Dr. Nicole Grünewald: In den Ausschüssen und Wirtschaftsgremien. Und wie gesagt, früher gab es Branchenausschüsse. Und dann haben wir gesagt: “Na ja, aber die Themen, die wir nach vorne bringen müssen, die sind ja meistens nicht auf eine Branche bestimmt.” Das heißt, die Branchenausschüsse haben wir dann zu Branchengremien gemacht. Das sind eher so Netzwerkveranstaltungen jetzt für die Branchen.
Aber unsere Ausschüsse, die sind in der Hierarchie so, dass die etwas bürokratischer verfasst sind. Und die arbeiten der Vollversammlung halt direkt zu und machen Resolutionen und setzen so ein bisschen auch die Schwerpunkte. Da, haben wir jetzt gesagt, gehen wir auf die wichtigen Themen der Zeit und das ist zum Beispiel Digitalisierung, das ist Mobilität, das ist Umwelt und Energie, das ist Internationales, weil wir natürlich eine Kammer sind in einer Region, wo auch sehr viel exportiert wird und wo wir sehr viele international orientierte Unternehmen haben. Also das sind so unsere Kernausschüsse, wo wir sagen, die behandeln die Themen, die jetzt wirklich auch für unsere Wirtschaft hier wichtig sind.
Und dann kommt da die Expertise der Unternehmerinnen und Unternehmer. Das Hauptamt, also unsere Verwaltung, bereitet das dann auf in einer Resolution. Das geht in die Vollversammlung, so quasi als unser Parlament. Das ist so eine Art unser kleiner Land- oder Bundestag. Da wird das dann noch mal diskutiert. Weil in der Vollversammlung sitzt halt aus allen Branchen und allen Regionen hier unseres Kammerbezirks mit ganz interessanten Quoten dann quasi eine wirklich repräsentative Abordnung unserer Wirtschaft. Und wenn die dann sagen: “Ja, also genau das sind die Themen und so sehen wir das”, dann ist das quasi die Grundlage für den Hauptgeschäftsführer und mich und eben für unsere Mitarbeitenden, damit dann auf die Politik zuzugehen und zu sagen: “Mensch, also bedenkt das doch bitte mit. Und das ist wichtig für uns. Das ist jetzt ein Thema, das unseren Unternehmen auf der Seele brennt.” Und wir haben immer Jahresthemen. Das ist in diesem Jahr “Aus- und Weiterbildung”, weil wir halt wirklich einen Fachkräftemangel haben.
Heike Drexel: Das ist ja euer Kernthema generell.
Dr. Nicole Grünewald: Da sind wir natürlich als IHK prädestiniert, weil wir bieten das ja. Das ist bei uns ein sehr, sehr großer Teil.
Heike Drexel: Ja, natürlich. Und ich finde ehrlich gesagt da jetzt auch mal, darauf kann man auch sehr, sehr stolz sein, auf dieses ganze Thema Weiterbildung.
Dr. Nicole Grünewald: Das sind wir auch. Also deshalb, wir brechen auch ganz viele Lanzen, jetzt gerade auch für diese duale Berufsausbildung. Das ist ein Exportschlager. Also in der ganzen Welt werden unsere Fachkräfte mit Kusshand genommen, weil wir eine schulische und eben eine praktische Ausbildung haben. Das gibt es in den wenigsten Ländern. Die Länder, die das anbieten, haben übrigens auch die geringste Jugendarbeitslosigkeit. Also das ist auch ein sozialer Faktor, den wir machen.
Und diese duale Berufsausbildung ist auch eine Sache, die wird zu einer ganz, ganz hohen Prozentzahl durch Ehrenamt getragen und eben durch die Unternehmen, die halt sagen: “Wir stellen Ausbildungsplätze zur Verfügung.” Auch da bin ich jeden Tag dankbar, dass das so viele Unternehmen machen. Und wir machen uns quasi unsere Fachkräfte selbst gemeinsam mit den IHKs und natürlich auch mit den Handwerkskammern. Die bieten das dann in ihrem Bereich an. Aber das ist schon was ganz Besonderes und das ist toll.
Ich meine, wir bilden auch in der Agentur selber aus und man bekommt dann die Jugendlichen oft ja frisch aus der Schule. Und dann merkt man, wie die halt erwachsen sind und wie die in das Berufsleben richtig reinleben und auch wirklich dann reifen. Und nach diesen drei Jahren da, ja, dann sind das schon richtig tolle Mitarbeitende. Also mir macht das jedes Mal wieder unheimlich Spaß. Also ich habe da auch persönlich ganz viel Spaß daran. Und ich behalte die dann auch ganz gerne. Das ist ja auch ein Geheimnis, warum unser Mittelstand so gut funktioniert und auch warum die Wirtschaft in Deutschland so gut funktioniert. Weil wir halt dieses duale Berufsausbildungssystem haben und eben auch noch sehr, sehr gute Weiterbildungsmöglichkeiten. Und das hängt halt zum Glück, muss man sagen, an den IHKs.
Wir haben das sogar jetzt in Corona-Zeiten geschafft, alle Prüfungen komplett bundesweit einheitlich durchzuführen. Da ist keine Prüfung ausgefallen. Einige mussten manchmal verschoben werden. Das war eine Herkulesaufgabe für alle Beteiligten. Aber sowohl Ehrenamt als auch Hauptamt, wir wollten das unbedingt schaffen und da haben alle alles gegeben. Es gab auch genug Überstunden dann. Aber darauf sind wir auch ganz stolz, dass uns das so gut gelungen ist.
Also das ist so eines der Kernthemen einer jeden IHK, dieses ganze Thema Aus- und Weiterbildung. Dann haben wir das Thema Zukunft der Innenstädte im Moment auf dem Schirm, das heißt jetzt auch nicht nur die Innenstadt von Köln, sondern auch gerade jetzt die kleinen Zentren in der Region. Da sehen wir, durch die Digitalisierung ist sehr viel im Wandel und im Fluss. Und wir möchten schon, dass Ortszentren nach wie vor auch für Wirtschaft attraktiv sind und eben dann auch für Besucherinnen und Besucher. Und da erarbeiten wir jetzt gemeinsam immer mit den Betroffenen, mit der Verwaltung, mit den Unternehmerinnen und Unternehmern, aber eben auch mit den Bürgerinnen und Bürgern, neue Konzepte, wie wir die Innenstädte der Zukunft lebendig halten. Das ist auch ein superspannendes Thema. Und dann haben wir das Rheinische Revier, früher halt Braunkohle, …
Heike Drexel: Die kommt jetzt vielleicht wieder.
IHK Köln Präsidentin Dr. Nicole Grünewald: … jetzt Energiewende. Ja, und was ist denn da die Zukunft? Es sind sehr viele Gelder dafür bereitgestellt worden. Wie werden die ausgegeben? Wo kommen die an? Und uns ist natürlich wichtig, dass das auch weiter eine florierende Wirtschaftsregion ist. Und ob es jetzt mit erneuerbaren Energien weitergeht oder wie wir diese Region weiterentwickeln können, damit haben wir tatsächlich vor zwei Jahren angefangen. Und das hat jetzt durch den Krieg in der Ukraine noch mal eine ganz andere Dimension bekommen. Jetzt geht es ja auf einmal darum: Ist unsere Energie eigentlich noch sicher? Was passiert in den nächsten Wochen?
Heike Drexel: Das werden noch spannende Monate jetzt.
Dr. Nicole Grünewald: Genau. Und deshalb waren wir eigentlich ganz froh, dass wir das Thema schon vorher auf der Agenda hatten, weil wir da jetzt nicht bei null anfangen mussten. Aber dieses ganze Thema Energiesicherheit, das treibt uns auch.
Derzeitige Krisen und Herausforderungen für Unternehmen
Heike Drexel: Was ist denn deine persönliche Meinung dazu? Was glaubst du denn, was da passiert?
Dr. Nicole Grünewald: Tja, also das ist jetzt wirklich ein Blick in die Kristallkugel. Also ich glaube – das haben wir ja auch schon in Corona-Zeiten gesehen –, dass wir eine Wirtschaft haben, die unglaublich resilient ist. Wir haben eine Wirtschaftsstruktur hier in Deutschland, die kommt auch mit ganz großen Herausforderungen klar. Was aber sein muss, ist, dass da in Teilen natürlich gestützt wird, wenn da exogene Faktoren kommen, die der einzelne Unternehmer oder die einzelne Unternehmerin dann alleine auch nicht mehr stemmen kann. Und deshalb ist es gut – das war in Corona-Zeiten übrigens auch schon gut –, dass die Politik irgendwann erkannt hat, okay, da müssen jetzt gewisse Dinge wie zum Beispiel Kurzarbeit oder eben auch mal Hilfen für eine bestimmte Zeit, die müssen fließen, weil es einfacher ist, eine Wirtschaft, bestimmte Branchen über eine Zeit hinüberzuretten, als dass man die jetzt alle in die Insolvenz schickt und dann müssen sich ganze Branchen nach so einer Krise wieder neu gründen. Also da hat die Zusammenarbeit mit der Politik wirklich exzellent geklappt. Das Gleiche werden wir jetzt wieder brauchen. Also es tut mir auch ein bisschen leid, weil es wäre ja schön gewesen – Corona ist ja auch immer noch nicht vorbei. Dann hatten wir zwischendurch in unserer Region auch noch diese Flutkatastrophe.
Heike Drexel: Genau, das Hochwasser, ja.
Dr. Nicole Grünewald: Und jetzt halt der Krieg. Also viele Unternehmen sind wirklich gebeutelt. Und so richtig viele Rücklagen sind da in weiten Teilen auch nicht mehr, also gerade in den Unternehmen nicht mehr, die hier schon von Corona extrem betroffen sind. Und ich wünsche mir halt jetzt auch da, dass man gemeinsam Lösungen findet. Aber das zeichnet sich schon ab. Also es wird nicht so sein, dass da jetzt am Anfang den ganzen kleinen Unternehmen der Strom abgestellt wird, sondern das, was ich glaube, ist, Energie und gerade Gas wird knapper. Das ist es ja jetzt schon. Aber ich denke mir, wir sind jetzt mit einer Extremgeschwindigkeit dabei, Alternativen zu entwickeln. Das können wir hier in Deutschland eigentlich auch sehr gut. Darauf muss man sich halt nur mal wieder besinnen und mithilfe der Politik und intelligenten Konzepten. Und natürlich, wir sind in Deutschland auch nicht alleine, sondern wir haben ein starkes Europa um uns herum. Und wenn wir da solidarisch sind und uns da auch gegenseitig aushelfen, dann wird das wahrscheinlich kein besonders vergnüglicher Winter …
Heike Drexel: Da müssen wir alle zusammenrücken.
Dr. Nicole Grünewald: … und es werden auch wahrscheinlich nicht alle Unternehmen schaffen, aber ich glaube schon, dass wir da generell durchkommen werden. Aber es ist jetzt die dritte Herausforderung für die Unternehmen in ganz, ganz kurzer Zeit und ich hoffe, dass wir die jetzt meistern. Und dann hoffe ich, dass danach auch vielleicht mal eine kleine Krisenpause eintritt. Aber das werden sehr, sehr spannende Monate. Und wenn ich daran denke, dann habe ich auch manchmal ein bisschen Bauchweh, weil ich immer denke: “Ach, das muss doch jetzt nicht wirklich auch noch sein.”
Heike Drexel: Ja, das stimmt. Es ist jetzt wirklich schon viel auf uns zugekommen. Und dann kommt jetzt noch hinzu – ich meine, jetzt hatten wir einen ganz großen Block hier mit Ausbildung – dieses Thema, dass überall die Kräfte fehlen, ob das jetzt am Flughafen ist, ob das in der Gastronomie ist. Also ich hatte jetzt gerade erst gelesen, einer der schönsten Flecken ja auch hier in Köln ist ja am Rhein bei den Rheinterrassen, wo du auch einen schönen Blick hast auf den Dom, der Biergarten ist nicht offen wegen Personalmangel.
Dr. Nicole Grünewald: Ja, es ist ja so, also Kurzarbeit ist ja das eine, aber gerade in der Gastronomie …
Heike Drexel: Aber dass die alle weg sind.
Dr. Nicole Grünewald: … ist natürlich das Trinkgeld auch ein großer Faktor. Und wenn ich jetzt in der Gastronomie gearbeitet habe und ich war ja eigentlich fast zwei Jahre in Kurzarbeit, dann überlege ich mir: “Dann suche ich was anderes.” Und der Fachkräftemangel ist ja jetzt nicht auf einmal aufgetreten, sondern den gab es ja schon vorher. Und andere Branchen haben sich gefreut, weil gerade Leute, die in der Gastronomie gearbeitet haben, das waren jetzt nicht Leute, die gesagt haben: “Oh, es ist 18 Uhr, ich muss jetzt mal hier den Griffel fallen lassen”, sondern das waren ja motivierte und wirklich tolle Fachkräfte. Ja, vielleicht nicht jetzt gerade in dem Bereich, aber dann haben die sich weiterqualifiziert. Die Zeit war ja da.
Und wenn ich dann mal in einem neuen Job Fuß gefasst habe und dann macht mein Restaurant, wo ich früher gearbeitet habe, wieder auf, dann denke ich mir doch: “Na ja, gut, ich weiß gar nicht, wie die Prognose ist. Corona ist noch gar nicht weg. Vielleicht ist es im nächsten Winter wieder zu. Dann bleibe ich doch vielleicht lieber in der Arztpraxis, wo ich jetzt hier einen sicheren Job habe. Ich habe neue Kollegen, das macht mir auch Spaß.” Und so ist das halt passiert in vielen Fällen.
Also viele gerade jüngere Leute haben gedacht: “Ich möchte nicht zu Hause sitzen, ich möchte was machen.” Die anderen Branchen haben sich gefreut und jetzt haben die quasi das Glück, dass sie die Leute da haben. Und die betroffenen Branchen, also sprich Hotellerie, Gastronomie, Veranstaltungswirtschaft, alles auch Branchen, wo man auf sehr flexible Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter angewiesen ist, auf Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die sagen: “Ja, ich möchte auch arbeiten, wenn alle anderen Leute freihaben”, also gerade diese Branchen, die hat es besonders getroffen, was mir in der Seele wehtut, weil das auch gerade unsere Region natürlich so ausgemacht hat. Also was wäre denn Köln und die Region auch jetzt, das Bergische, was wäre das denn ohne die tolle Gastronomie, die wir hier haben?
Heike Drexel: Absolut, und vor allen Dingen für die ganzen vielen Touristen, die ja kommen.
IHK Köln Präsidentin Dr. Nicole Grünewald: Und die Hotellerie, wir haben ein so tolles Angebot und ein so hohes Niveau hier. Und auch die Veranstaltungswirtschaft, das war hier wirklich bundesweit führend. Und die sind jetzt alle dabei und schauen: “Wo um Gottes Willen kriegen wir Fachkräfte her?”
Aber jetzt vor zwei Wochen in Berlin haben wir uns mit den ganzen Fraktionsvorsitzenden auch der Bundestagsfraktionen ausgetauscht. Und wir haben denen gesagt: “Leute, ihr müsst jetzt da mal was machen. Wir kriegen das hier in Deutschland mit eigenen Leuten nicht mehr gestemmt. Wir brauchen jetzt qualifizierte Einwanderung. Weil wir haben hier Jobs, wir haben eine starke Wirtschaft und wir brauchen jetzt tatsächlich qualifizierte Mitarbeitende aus anderen Ländern. Und bitte öffnet denen den Weg.” Jetzt ist es ja eine andere Koalition als noch vor ein paar Monaten und das sieht wohl ganz gut aus. Sie haben uns jetzt zugesagt, bis Ende des Jahres wird es da eine andere Gesetzgebung geben. Und das wird es unseren Unternehmen dann leichter machen, auch Fachkräfte aus dem Ausland hier für die Arbeit zu gewinnen. Und darauf bauen wir wirklich.
Und jetzt ist natürlich eine schöne Jahreszeit. Also an viele Schülerinnen und Schüler, die jetzt sagen: “Mensch, die Schule ist vorbei, ich möchte jetzt mal was anderes machen, ich möchte vielleicht nicht unbedingt studieren, sondern ich möchte mal so den ersten Schritt in die Selbstständigkeit tun und mein eigenes Geld verdienen und auch Berufserfahrung sammeln”, eine ganz herzliche Einladung, einfach mal eine Ausbildung zu beginnen. Es gibt ganz, ganz viele tolle Ausbildungsberufe. Studieren kann man danach dual immer noch. Also deshalb ein Herzenswunsch, dass sich möglichst viele junge Menschen auch für eine duale Berufsausbildung entscheiden würden. Weil das würde unseren Fachkräftemangel auch schon etwas lindern.
Heike Drexel: Ganz bestimmt. Ja, insofern ein guter Appell. Ich hoffe, es hören einige.
Karneval und das kölnische Lebensgefühl
Heike Drexel: Sehr schön. Ja, bevor wir so zum Schluss kommen – ich glaube, wir könnten zwar noch viel sprechen, aber es ist ja auch immer so ein bisschen das Thema, wir wollen ja jetzt nicht – wie soll ich sagen? – labern, einen Laberpodcast, sondern auch was rüberbringen. Aber eine Sache hätte mich jetzt am Schluss noch ein bisschen interessiert. Das ist so das Thema: Du bist ja jetzt wirklich so ein echtes kölsche Mädchen. Du bist in Köln geboren und du hast ja auch gesagt, du bist ja, glaube ich, relativ früh dann auch so zum Karneval gekommen. Was macht für dich so dieses Lebensgefühl in Köln aus?
Dr. Nicole Grünewald: Also ich bin in der Innenstadt groß geworden tatsächlich, in der Kölner Innenstadt, in der Südstadt, und war ganz früh auch schon auf meinem ersten Rosenmontagszug. Ich weiß noch, dass ich da auch begeistert war. Mit den Pferden und mit den Kostümen, das ist ja gerade für Kinder ganz, ganz toll. Und was man gerade im Karneval so sehr authentisch erleben kann, das ist dieser Zusammenhalt, den wir Rheinländer und Rheinländerinnen wohl ganz besonders haben, also dass man einfach in eine Kneipe geht und mitfeiern kann.
Heike Drexel: Also am besten ist immer die Schlange vor dem Klo.
Dr. Nicole Grünewald: Ja, aber auch das ist netzwerken. Man muss das einmal anders sehen. Also auch gerade in einer Schlange vor einem Klo kann man supergut …
Heike Drexel: Das meinte ich jetzt ernst.
Dr. Nicole Grünewald: … ganz tolle Leute kennenlernen. Aber das ist dieses Zusammengehörigkeitsgefühl, das wir hier haben. Und das ist ja nicht nur in Köln so, sondern das strahlt auf die ganze Region ab und jetzt auch gerade im Bergischen oder auch im Rhein-Erft-Kreis oder im Oberbergischen, diese Herzlichkeit und Offenheit der Menschen. Und ich wollte mich auch immer im Karneval engagieren. Das ist jetzt für Frauen nicht ganz so einfach. Weil ich wollte jetzt nicht zwingend das Funkenmariechen sein. Das hätte ich auch in meinen Zeitplan nicht mehr so reingekriegt. Deshalb bin ich damals zu den Freunden und Förderern auch in den Vorstand gegangen.
Heike Drexel: Die Freunde und Förderer des Kölnischen Brauchtums?
Dr. Nicole Grünewald: Genau. Und wir organisieren die Schull- un Veedelszöch. Und das sind die Züge, die immer am Karnevalssonntag gehen, also einen Tag vor dem Rosenmontagszug. Und ganz viele Schulklassen und Veedelsvereine gehen da mit. Also das ist so wirklich noch Karneval …
Heike Drexel: Authentischer Karneval.
Dr. Nicole Grünewald: … in einer ganz authentischen Form. Und wir zeichnen dann immer die coolsten Gruppen aus und die dürfen dann auch am nächsten Tag beim Rosenmontagszug mitgehen. Das ist dann immer ein besonderes Highlight. Und das mache ich auch mit sehr viel Herzblut. Also da bin ich wirklich, wie du schon gesagt hast, ein kölsches Mädche.
Und auch, dass ich mich in der IHK engagiere, das ist, weil ich die Stadt und die Region wirklich liebe und weil ich halt was tun wollte, um das noch besser zu machen. Also das ist wirklich so meine intrinsische Motivation, weswegen ich auch jeden Tag total gerne aufstehe. Ich meine, das ist halt Agentur plus IHK. Ich denke immer, es ist so störend, dass der Tag nur 24 Stunden hat.
Heike Drexel: Das nimmt man dir auch echt ab.
Dr. Nicole Grünewald: Es wäre halt für mich viel einfacher, wenn es so 36 wären. Dann würde ich irgendwie besser hinkommen. Dann hätte ich sogar noch ein bisschen Freizeit. Das habe ich so eher nicht. Aber das ist eine Sache, die mich auch antreibt und die mich jeden Tag neu begeistert.
Als IHK hat man schon auch sehr viel Power und einen sehr großen Einfluss. Und wenn man dann sieht, man kann so kleine Sachen besser machen. Also man setzt sich jetzt für eine bessere Lebensqualität auf dem Neumarkt ein und dann merkt man, da passiert was. Man setzt sich halt für die Förderung oder Hilfe von Unternehmen ein und dann kommt die und dann rettet man halt auch durch die eigene Arbeit.
Heike Drexel: Ich hätte noch einen Tipp: noch ein bisschen mehr Müllabfuhr.
Dr. Nicole Grünewald: Ja.
Heike Drexel: Also dieses Thema Müll in den Straßen.
Dr. Nicole Grünewald: Je nach Region ist das tatsächlich sehr unterschiedlich.
Heike Drexel: Das ist schon heftig.
IHK Köln Präsidentin Dr. Nicole Grünewald: Das kritisieren wir natürlich auch, klar. Aber im Rheinland wird halt viel gefeiert und wo gehobelt wird, da fallen auch Späne an. Aber tatsächlich, ein bisschen mehr Qualität, mehr Sicherheit, Sauberkeit, einen größeren Fokus darauf, dafür arbeiten wir auch. Aber wie gesagt, wir haben ja noch zweieinhalb Jahre. Also es wäre ja komisch, wenn wir jetzt schon alles erreicht hätten. Aber an den Themen sind wir natürlich auch dran.
Weil das ist ja so ein bisschen die Kehrseite der Medaille, dass es auch ein bisschen Laisser-fair ist und dass viele Leute sagen: “Na ja, gut, dann ist es halt dreckig.” Also den Anspruch habe ich tatsächlich nicht. Da merkt man, dass meine Eltern nicht Kölnerinnen sind, Kölner und Kölnerin, sondern die kommen halt aus der Region Aachen. Da ist man noch auf andere Sachen gepolt. Deshalb habe ich das zu Hause auch anders gelernt. Und diesen Laisser-faire-Ansatz und mit diesem “Et hätt noch emmer joot jejange” und “Dann sieht es halt ein bisschen usselig aus”, also das bin ich gar nicht. Da arbeiten wir auch wirklich mit ganz viel Begeisterung dagegen an. Ja, also wir haben einen anderen Qualitätsanspruch.
Abschlussfrage
Heike Drexel: Dann kann ich dich ja eigentlich fast gar nicht mit meiner letzten Frage wahrscheinlich so aus der Reserve locken. Weil jetzt seit ein paar Folgen stelle ich meinen Gästen immer so diese Abschlussfrage: Was würdest du machen, wenn du jetzt 5 Millionen Euro im Lotto gewinnen würdest? Du hättest ja gar keine Zeit irgendwie dafür, mit diesem Geld umzugehen. Aber nein. Wenn du jetzt wirklich mal so darüber nachdenkst, was würde dir spontan einfallen?
Dr. Nicole Grünewald: Also ich würde genau das Gleiche machen wie jetzt.
Heike Drexel: Das wundert mich jetzt gar nicht.
Dr. Nicole Grünewald: Ich habe ja drei Pferde. Also ich glaube – zwei sind jetzt schon ein bisschen älter –, wahrscheinlich würde ich mir dann doch noch ein viertes Pferd kaufen. Also so was würde ich dann schon machen.
Heike Drexel: Dafür hast du auch noch Zeit?
Dr. Nicole Grünewald: Ja, wenig leider. Das heißt, da muss ich … Also Zeit kann man sich ja nicht kaufen. Das wäre eine Sache, die würde ich mir dann tatsächlich kaufen. Also ein 36-Stunden-Tag, dafür würde ich sehr viel Geld ausgeben wollen. Nein, aber ich mache das alles mit sehr viel Freude. Um jetzt wieder beim Thema Freude zu sein, also sowohl Agentur als auch IHK, das mache ich halt, weil mich das begeistert. Und davon würde ich mich auch um kein Geld der Welt trennen wollen. Also das mache ich jetzt gerne noch ein bisschen so weiter.
Heike Drexel: Wie der Herr Bosbach in einem Interview – vor einem Jahr, glaube ich, hatte ich das mit ihm geführt – gesagt hat: “Mach dein Hobby zum Beruf und du hast immer Freizeit.”
Dr. Nicole Grünewald: Genau.
Heike Drexel: Das ist bei dir so, du hast immer Freizeit.
Dr. Nicole Grünewald: Genau. Also ja, das würde ich jetzt so irgendwie nicht sehen. Das ist natürlich in Strecken auch wirklich anstrengend. Also wir bohren da auch dicke Bretter und manchmal denkt man sich auch: “Mensch, gut, dass ich ein tolles Team habe.” Jetzt eben auch nicht nur aus dem Ehrenamt, sondern aus dem Hauptamt auch viel. Wir ziehen wirklich zusammen. Also wir haben jetzt ja auch seit einem halben Jahr einen neuen Hauptgeschäftsführer. Wir führen die IHK als Doppelspitze. Und das macht unglaublich Spaß, wenn man Sparringspartner an seiner Seite hat. Und gemeinsam was für die Stadt und für die Region zu erreichen, das ist eine Sache, also das kriegt man auch nicht für Geld, das kriegt man nur, wenn man sich auch ehrenamtlich engagiert. Und das kann ich nur jedem empfehlen.
Heike Drexel: Das ist ein wunderbares Schlusswort. Super, perfekt! Druckreif! Wir können jetzt hier aufhören.
Dr. Nicole Grünewald: Okay.
Heike Drexel: Das lassen wir einfach hier so stehen, finde ich. Super! Und ich wünsche dir auf jeden Fall noch für die nächsten zweieinhalb Jahre ganz, ganz viel, weiterhin viel Freude und viel Spaß und Erfolg bei all dem, was du tust. Und ich bin sehr gespannt.
Dr. Nicole Grünewald: Ja, ganz, ganz herzlichen Dank auch, dass ich hier die Gelegenheit hatte, mit dir zu plaudern. Das hat sehr, sehr viel Spaß und Freude gemacht.
Heike Drexel: Danke schön. Bis dann. Tschüss.
Dr. Nicole Grünewald: Tschüss.