Heike Drexel: Hallo und herzlich willkommen im Podcast “Unternehmen im Gespräch”, dem Interview Podcast mit Unternehmer*innen und Solopreneur*innen. Mein Name ist Heike Drexel und ich freue mich sehr auf meine heutige Gesprächspartnerin, Katharina Afflerbach. Hallo Katharina.
Katharina Afflerbach: Hallo Heike.
Heike Drexel: Katharina, du lebst und arbeitest in Köln. Du bist selbstständig als freie Texterin, Coach und Autorin. 2019 hast du dein erstes Buch veröffentlicht, mit dem Titel “Bergsommer”. Wie mir das Leben auf der Alm Kraft und Klarheit schenkte. Und das Buch hat, soweit ich das richtig recherchiert habe, es sogar auf die Spiegel Bestsellerliste geschafft. Und damit darfst du dich Spiegel Bestsellerautorinnen. Herzlichen Glückwunsch!
Katharina Afflerbach: Dankeschön.
Heike Drexel: Das finde ich echt super. Doch dein früheres Leben war ja so ganz anders. Du warst viele Jahre in einer Führungsposition als Marketingleiterin für Kreuzfahrt Reedereien und einer Hotelkette tätig. Das heißt, du warst viel auf Reisen, hast ganz viele Menschen kennengelernt und hast auch viel Verantwortung gehabt. Und ich denke auch, du hast sicherlich sehr gut verdient und was finanziell gut abgesichert. Doch dann lese ich auf einmal so eine Schlagzeile, die mir nicht aus dem Kopf gegangen ist und total mein Interesse geweckt hat. Und zwar stand da: Warum landet eine Managerin im Kuhstall? Das fand ich unglaublich und dachte mir: Die Frau muss ich kennenlernen. Ich glaube, es gibt ganz viele Menschen, die sich nach einer Veränderung in ihrem Leben sehnen, aber viele trauen sich nicht. Und jetzt möchte ich natürlich gerne wissen, von dir, wie es dazu gekommen ist, dass du dich getraut hast? Und was du da auch genau-, Also was dir da alles im Kopf herumgegangen ist, wie es dazu gekommen ist und die ganze Geschichte.
DIE VERÄNDERUNG UND IHRE GESCHICHTE
Katharina Afflerbach: Ja, danke schön. Also, als ich damals mein Leben umgekrempelt habe, das war 2014, da war das keine Hauruckaktion. Also das war nicht so, dass ich die Idee hatte, jetzt was ganz anderes zu machen und dann sozusagen von heute auf morgen meinen Rucksack gepackt habe und als Sennerin auf die Alp gegangen bin, sondern das war ein ziemlich langer Prozess, bis ich überhaupt an diesen Punkt gekommen bin, dass ich mir eingestehen konnte, dass es so nicht weitergeht. Also nach außen hatte ich sicher eine Bilderbuchkarriere und auch wenn man sich anschaut, wo ich herkomme, also aus einem kleinen Dorf im Siegerland. Meine Mama war Kindergärtnerin, mein Papa hat in der Stadtverwaltung gearbeitet, also dass ich überhaupt in die große Stadt ziehe und studieren konnte. Und zufällig auch noch in einer Branche gelandet bin, in der Touristik, wo man so viel von der Welt sieht und in fremde Kulturen eintaucht und international arbeitet. Davon hätte keiner träumen können und deswegen habe ich auch viele Jahre lang gedacht: Jetzt muss ich dankbar sein und muss das auch auskosten und mitnehmen, weil es niemand anderes vor mir, in meiner Familie, so etwas geschafft hat oder hätte schaffen können, weil es einfach die Voraussetzungen dafür nicht gab. Ich habe aber ja, nachdem vielleicht so das erste Fieber und die Begeisterung so ein bisschen abgeflaut ist, habe ich gemerkt, dass ich eigentlich nur noch für die Arbeit gelebt habe und dass auch viele Jahre lang. Also das war wirklich krass, wenn ich das heute betrachte. Ich habe sieben Tage die Woche gearbeitet, bis abends 22, 23:00 Uhr war ich im Büro, oft so spät, dass ich mich nur noch getraut habe, mit dem Taxi nach Hause zu fahren. Also dann hatte ich sogar schon so einen Stammtaxifahrer, der mich immer eingesammelt hat. Also es war wirklich furchtbar, wenn ich mit meiner heutigen Brille auf mein Leben damals gucke. Aber so bin ich aufgegangen in dieser Arbeit und habe die Anerkennung genossen und mich darin geaalt und gesonnt und habe es auch geliebt, Dinge voranzubringen und etwas zu gestalten. Aber ich habe einfach nicht gecheckt, dass ich nur im Außen gestalte und immer nur für andere und immer nur für das Unternehmen, aber für mich gar nicht mehr. Und dass menschliche Beziehungen darunter auch gelitten haben, meine Familie und meine Freundschaften. Und insofern war das ein ganz langer Weg, bis ich aufgewacht bin und bis ich gemerkt habe, anzuerkennen, was mir fehlt und was ich habe schleifen lassen, was ich habe brach liegen lassen. Und was ich dringend brauchte, nämlich wieder Nahrhaftes für meine Seele und auch für meinen Körper, den ich auch über Jahre sehr, sehr vernachlässigt habe. Es war ein langer Prozess des Eingestehens und des Anerkennens und dass es auch okay ist, solche Bedürfnisse zu haben und dass es okay ist, dass ich anscheinend nicht die Karrierefrau bin, die eines Tages irgendwo im Vorstand sitzen möchte. Ich darf auch mit einem anderen Karrierelevel zufrieden sein und glücklich sein. Ich muss gar nicht danach streben, nur weil ich die Chance dazu gehabt hätte, sondern ich darf einen anderen Weg einschlagen. Und ja, das habe ich dann gemacht.
Heike Drexel: Ich bin ganz beeindruckt, deswegen sage ich gerade nicht viel. Wie bist du dann aber eben auf diese Alp gekommen? Also der Weg? Also du hättest ja auch erst einfach mal generell ein Sabbatical nehmen können. Das machen ja heutzutage auch viele Leute, wenn die auch so an dem Punkt sind: Work Life Balance, Sinnkrise. Aber wie ist es dann bei dir zu dieser Alp gekommen, zu dieser Geschichte?
Katharina Afflerbach: Also ich habe vorher, bevor ich die Idee hatte, habe ich schon die Berge geliebt. Also das ist einfach mein Wohlfühlort. Ich weiß, dass ich mich in den Bergen zugleich stark, aber auch behütet und beschützt fühle. Also die geben mir ein Gefühl von Geborgenheit und Ausgeglichenheit. Und das wusste ich, weil ich schon mal zum Wandern oder Bergsteigen in die Berge gegangen bin. Und als ich so langsam die Idee hatte, dass ich mein Leben verändern möchte und dass ich mich selbstständig machen möchte, wollte ich gerne diesen Übergang sozusagen von meinem alten Leben in mein neues Leben auf besondere Weise zelebrieren. Und wollte so lange wie möglich am Stück mich in den Bergen aufhalten und hatte zwei Ideen. Entweder könnte ich Sennerin werden oder ich könnte auf so eine Alpenverein Hütte gehen und die Leute verpflegen und verköstigen. Und um das mit der Sennerin auszuprobieren, habe ich mal Urlaub gespendet bei der Bergbauernhilfe. Das gibt es in Südtirol und auch in der Schweiz. Und da, ja, du spendest also deine Zeit für eine Woche oder zwei Wochen und wirst dann bei einer Familie einquartiert, auf einem Bergbauernhof, gegen Kost und Logis. Und kriegst dann im Gegenzug die Erfahrung, einfach mit anzupacken, morgens um fünf im Stall zu stehen, auszumisten, Heuernte, was auch immer da gerade ansteht. Und das habe ich gemacht und das war ein wahnsinnig intensives Erlebnis. Das hat mich auch so richtig wachgerüttelt. Also es war wirklich so, wenn es nicht so kitschig klingen würde, es war wirklich so, dass ich-, Nach dem ersten Tag da oben war mir völlig klar, dass es das ist, was ich brauche. Ich habe dann zwar noch das andere so ein bisschen angetestet, ich bin dann noch mal Bergsteigen gewesen, im Ötztal eine Woche lang und habe mich dann abends auf den Hütten mit den Leuten unterhalten, die da arbeiten, mit den Hüttenwirten und den Angestellten und habe dann herausgehört, dass die im Grunde ja nur auf der Hütte sind, Kochen, putzen, Betten beziehen, Toilette saubermachen und so weiter und die sie nicht draußen in der Natur, sondern die sind halt in der Hütte. Und ich hatte das Gefühl, dass das, was ich brauche, es vor allem Natur. Ich brauchte Regen, Wind, Sturm, Hagel. Ich brauchte, ja, ich musste mich auch körperlich wieder spüren, um auch innerlich wach zu werden und wieder einen klaren Kopf zu kriegen. So wie Leute, die ans Meer fahren und sagen, sie müssen richtig durchgepustet werden. Also ich hatte das Gefühl, das brauche ich und deswegen ist die Wahl auf die Alp gefallen. Und diese kleine Erfahrung mit der Bergbauernhilfe, das ist etwas, was jeder machen kann. Einfach mal einen Urlaub spenden, dann wird man eben irgendwo zugeteilt. Und das war mein Türöffner. Da war ich zwar nicht auf einer Alp, also Alp ist schon noch mal was anderes, das ist ja eine Berghütte mitten oben in den Bergen, aber ich hatte schon eine Idee davon, wie es vielleicht sein könnte. Und dann gibt es so einen Stellenportal nur für Alpstellen und da hat der Zufall oder das Schicksal mich zu Familie Aebi in die Schweiz geführt.
DIE ALP UND IHRE GESCHICHTE
Heike Drexel: Und die machen das öfters? Also hatten die schon mehr Erfahrung mit Menschen wie dir?
Katharina Afflerbach: Ja, also bei dieser Familie ist es so, die haben eine ziemlich große Alp, 130 Hektar bewirtschaften sie und mit jeder Menge Tieren und sehr viel Verantwortung, die damit einhergeht. Und sie haben jedes Jahr einen Angestellten und hatten Erfahrung damit, jemanden unter ihre Fittiche zu nehmen, der wie ich von Tuten und Blasen keine Ahnung hat. Und vielleicht auch noch aus der Großstadt kommt und erst mal so viel damit zu tun hat, allein schon mit dem Körper klarzukommen. Du bist plötzlich in der Höhe. Plötzlich machst du-.
Heike Drexel: Wie hoch war die Alp?
Katharina Afflerbach: Die Hütte liegt auf 1640 und das Gelände geht von 1400 irgendwas bis knapp auf 2000. Und ja, ich hatte zwölf Jahre lang auf meinem Bürostuhl gesessen oder auf schicken Kreuzfahrtschiffen und in schönen Hotels verbracht. Und plötzlich musste ich von 5:15 Uhr morgens bis abends, bis ich ins Bett gefallen bin, nur noch körperlich arbeiten. Also ich war in den ersten Wochen wirklich buchstäblich mit Überleben beschäftigt, meinen Körper irgendwie unter Kontrolle zu kriegen, weil natürlich alles weh getan hat, ich nur noch Hunger hatte wegen der Höhe und wegen der schweren Arbeit. Das Schlafen funktioniert auch plötzlich nicht mehr so, wie man es gewöhnt ist. Ja, also es ist wirklich verrückt, wie viel Umstellung du da oben hast. Und gerade in diesen ersten Wochen, dann habe ich die Sprache nicht verstanden, dieses Schweizerdeutsch. Also wirklich-.
Heike Drexel: Das ist ja auch eine komplett andere Sprache. Da ist zwar das Wort Deutsch drin, aber das hört sich oft nicht wie Deutsch an.
Katharina Afflerbach: So habe ich es auch empfunden und auch alleine schon der Aspekt, zu Gast zu sein. Ich war Mitte 30, habe vorher ein ziemlich cooles, selbständiges Leben geführt und plötzlich bist du wie ein Au pair Mädchen oder beim Schüleraustausch bei einer Familie zu Gast und musst dich irgendwie wieder unterordnen, einfinden. Kriegst das Essen vorgesetzt und dein Zimmer zugewiesen, also sehr, sehr facettenreich, diese Eingewöhnungsphase. Aber so krass sie auch war, vielleicht ist das auch das Gute. Man wird dermaßen ins Wasser, ins kalte Wasser geschmissen. Es bleibt einem nichts anderes übrig, als sich zu adaptieren und zu lernen, zu lernen, zu lernen. Und dann wird es irgendwann besser.
Heike Drexel: Ich hatte auch gehört, in einem anderen Podcast, den ich mir so zur Vorbereitung angehört habe, dass du morgens aufgestanden bist und erst schon mal zwei Stunden gearbeitet hast, bevor es überhaupt Frühstück gab.
Katharina Afflerbach: Ja.
Heike Drexel: Das fand ich schon sehr beeindruckend.
Katharina Afflerbach: Ja, das war tatsächlich so, musste ich mich auch erst dran gewöhnen. Und zwar gehst du erst in den Stall zum Füttern, Ausmisten, Melken. Dann habe ich immer noch das Melkgeschirr gewaschen und dann sind gut zwei Stunden um, bis du dir dann das Frühstück sozusagen verdient hast. Und es macht auch überhaupt keinen Sinn, vor dem Melken zu frühstücken, weil erstens müsstest du dann ja noch früher aufstehen und zweitens hättest du nach dem Melken sowieso schon wieder Hunger, deswegen ist das der Rhythmus bei den Bauern. Und als ich dann nach den vier Monaten da oben zurückgekommen bin, war es für mich total komisch, morgens aufzustehen, mich an den Frühstückstisch zu setzen und einfach so Frühstück zu essen, ohne es mir erarbeitet zu haben.
Heike Drexel: Ja und ich habe auch gehört, dass ihr da gar kein Wohnzimmer hattet in der Hütte. Also wie kann man sich denn die Räumlichkeiten da vorstellen in der Alp? Die hatten zwei oder haben zwei Kinder.
Katharina Afflerbach: Ja, sie haben drei.
Heike Drexel: Oder drei.
Katharina Afflerbach: Ja, sie haben drei Kinder, genau. Also ja, jede Alphütte ist ein bisschen anders und die meisten Alphütten, also zumindest in der Schweiz, was ein bisschen anders ist als Österreich, was ja sehr touristisch geprägt ist. Da wo ich war, in der Ecke der Schweiz, gab es keinen Tourismus und deswegen waren die Hütten wirklich pure Alphütten und rein auf den Zweck ausgerichtet, nämlich die Berglandwirtschaft. Und unsere Hütte hatte eine Küche, wo alles stattgefunden hat, also unser Familienleben. Aber auch wenn nassgeregnete Wanderer reingekommen sind und ein trockenes Plätzchen suchten, ja dann sind die natürlich auch mit an unserem Tisch gehockt. Und dann gab es ein ganz kleines Badezimmer, sogar mit normalem WC und Dusche und Waschmaschine, also unser gehegter Schatz, unser Luxus. Und dann bist du von der Küche aus so eine Stiege hochgestiegen, mit so einer Luke in der Decke, also wirklich wie bei Heidi. Und oben war dann die Bühne, die Heu-Bühne und in die Heu-Bühne sind zwei Zimmer eingezogen worden. In einem Zimmer schliefen die Eltern mit den drei Kindern und in der anderen Kammer schlief ich, aber in dieser Kammer, also kann man wirklich Kämmerlein sagen, also das war so klein und unter der Dachschräge, da war ich wirklich nur zum Schlafen. Das heißt, wenn ich in der Hütte war, zum Essen oder eine kurze Pause machen, war ich immer in dieser Küche und immer mit Menschen. Also es gibt in dem Sinne kein Wohnzimmer oder es gibt keinen anderen Rückzugsort, also keine Privatsphäre.
Heike Drexel: Keine Privatsphäre und das vier Monate lang?
Katharina Afflerbach: Genau.
Heike Drexel: Und das mit einer Familie, die du vorher nicht kanntest, also das ist echt bewundernswert. Ich glaube, in manchen Situationen, denkt man sofort: Oh Gott, da gibt es Mord und Totschlag.
Katharina Afflerbach: Ja, kann ich bestätigen. Es ist natürlich nicht dazu gekommen, aber die Nerven liegen doch echt schnell mal blank. Erstens wegen der Enge, aber vor allen Dingen auch wegen der strengen, strengen Arbeit. Und du bist eigentlich permanent übermüdet mit dem frühen Aufstehen und dem harten Arbeiten. Und in meinem ersten Sommer kam dazu, dass ich den nässesten Sommer seit Beginn der Wetteraufzeichnungen erwischt habe. Das heißt, es hat meistens geregnet, geschüttet, gehagelt, geschneit, gestürmt, Nebel und das hat natürlich auch unheimlich an unseren Nerven gezerrt. Und ständig mussten wir im Nebel irgendwelche verlorenen Tiere suchen. Ständig ist irgendwo ein Erdrutsch gewesen, hat und hat wieder einen Zaun weggerissen, den wir dann in strömendem Regen wieder aufbauen mussten. Und dann liegen einfach die Nerven blank und dann kommst du völlig erschöpft und nass bis auf die Unterhose zurück in die Hütte und freust dich auf ein warmes Plätzchen am Feuer. Und dann ist die Hütte vollgestopft mit zehn Wanderern, die meinten, sie müssten bei dem Wetter irgendwie eine Tour machen. Und dann hast du einfach keinen Platz für dich und deine Sachen. Und auf der anderen Seite, habe ich mich dadurch aber auch mehr am Riemen gerissen, weil ich einfach wusste ich bin immer unter Menschen und wir sitzen alle im selben Boot. Das hat auch zu einer unheimlichen Hilfsbereitschaft geführt. Ich habe nirgendwo anders so eine ehrlicher und Hand in Hand gehende Teamarbeit kennengelernt wie auf der Alp. Vielleicht, weil es auch immer um was ging, es ging ja immer um Lebewesen. Es ging ja vorher in meiner Arbeit immer nur um irgendwelches abstrakte Zeug.
Heike Drexel: Luxus, letztendlich.
Katharina Afflerbach: Ja, und es war nicht anfassbar. Ich habe an Strategiepapieren gearbeitet oder an Exceltabellen oder so, ja dann war vielleicht mal ein Zahlendreher drin, aber es hat ja niemanden wirklich Leiden zugefügt, aber auf der Alp hatte ich plötzlich Verantwortung für unheimlich viele Tiere. Manchmal hatte ich auch die Kinder dabei, dann hatte ich natürlich auch noch die Verantwortung und ich hatte die Verantwortung dafür, für den Lebensunterhalt der Familie. Wenn ich die Milchkanne aus Versehen umgeschüttet hätte und 40 Liter Milch in den Misthaufen geflossen wären, dann hätte der Familie dieses Geld gefehlt. Also wirklich anfassbare, anpackbare, greifbare Probleme. Und das hat sicherlich auch dazu beigetragen, dass wir viel ehrlicher miteinander gearbeitet haben. Und ein Learning, das gibt mir auch heute noch so viel, weil die Bäuerin, die Stefanie, die hat immer wieder ganz klipp und klar zu mir gesagt: Kati, wenn du mit irgendeiner Aufgabe nicht zurecht kommst oder wenn dir das zu viel ist, weil wir sind manchmal wirklich auf dem Zahnfleisch gekrochen, du musst es sagen und du darfst es sagen. Und vorher, in meiner Karriere, in Anführungsstrichen, hätte ich mir ja nie im Leben die Blöße gegeben, zu sagen: Sorry, das ist mir jetzt zu viel, kann das mal jemand anders machen? Oder: Leute, ich muss mich jetzt mal eine halbe Stunde ausklinken und mal eine Runde um den Block gehen. Hätte ich mich nie getraut, der Gesichtsverlust wäre viel zu groß gewesen. Aber da oben, dadurch, dass es um etwas ging, hat sie mich immer wieder dazu eingeladen: Kati, du darfst es ehrlich sagen. Wir stehen ja füreinander ein. Und genauso, wenn sie Migräne hatte und sich eine Stunde hingelegt hat, habe ich sie ersetzt. Also dieses ohne Gesichtsverlust die Hand heben zu können. Das war keine Schwäche, das war Stärke. Und das habe ich da gelernt.
Heike Drexel: Ich hatte in einem Podcast vom Handelsblatt, da gab es ein Gespräch mit einem Unternehmer, der heißt Josef Bronner, da habe ich gehört, wie er sagte, dass er gerne in die Berge geht, weil dort die Idiotendichte, Zitat, abnimmt, je höher die Berge sind und dass er eben deswegen die Berge so schätzt. Ist das auch so ein bisschen dein Eindruck, dass so andere Menschen in die-. Also, dass eine bestimmte Sorte von Menschen, die Berge liebt.
Katharina Afflerbach: Den Eindruck habe ich auch, ich kann das unterstreichen. Je aufgesetzter es wird und je schwerer zugänglicher die Gegend ist. Ja, es gibt aber ja mittlerweile einige touristische Gebiete, wo nicht nur im Winter Zirkus ist, Skizirkus, sondern auch im Sommer solche Gegenden, wo so Downhillbiking-Anlagen installiert sind oder so, da ist ja auch richtiger Massentourismus. Und ich glaube, da zieht es schon auch die Leute hin die Action brauchen, aber die auch die laute Action brauchen. Aber die Leute, die in den Bergen die Ruhe suchen, um zu ihrer inneren Ruhe zu finden, die gehen in Gegenden, wo dieser Zirkus oder diese ganzen Infrastrukturen nicht sind. Die geben sich mit einem ganz öden, ausgetretenen oder noch so kleinen Pfad zufrieden, weil dieser Pfad auch ihren Weg symbolisiert und sie dazu bringt, über sich und ihr Leben nachzudenken. Und je stiller und je abgelegener und je abgeschiedener und einsamer, desto besser. Und wenn ich zum Beispiel so Hüttentouren mache, also so eine Wanderung, eine Woche von einer Hütte zur anderen, da sind die Abende auf den Hütten immer ganz besonders, weil da eben nur die Menschen hinkommen, die wirklich aus eigener Muskelkraft da ein paar Tage lang unterwegs sein können, um zu dieser Hütte zu finden. Und das sind ganz zauberhafte Abende, weil ich fast schon körperlich spüre, dass die Herzen im gleichen Takt schlagen. Also da ist wirklich so eine Schwingung spürbar: Wir sind jetzt alle heute Abend hier, weil wir dasselbe oder ein ähnliches Erlebnis suchen. Und das verbindet und das bringt auch, ja diesen Gleichklang wirklich zum Schwingen.
DAS BUCH UND DER ENTSTEHUNGSPROZESS
Heike Drexel: Sehr schön. Das klingt echt, wirklich fast wie so eine perfekte Werbung für den Alpenverein. Da kriegt man total Lust drauf, eine Hütten Tour sofort zu starten. Oh Mensch, toll. Du hast ja jetzt ein Buch darüber geschrieben, das hatte ich ja ganz am Anfang erwähnt. Genau und das ist ja auch so ein bisschen der Aufhänger für unser Gespräch. Wie kam es denn jetzt dazu? Hast du nach deiner Tour, also nach deiner Alptour gedacht: Oh, jetzt habe ich so viele Eindrücke gehabt, jetzt schreibe ich ein Buch darüber oder wie ist das gelaufen?
Katharina Afflerbach: Ja, also die Idee zu dem Buch hatte ich erst nach meinem dritten Sommer auf der Alp. Also ich habe drei Sommer als Sennerin auf der Alp gearbeitet. Das sind jeweils vier Monate. Und die Entscheidung, ein Buch zu schreiben, habe ich getroffen, nachdem ich für mich das Resümee gezogen habe, dass jeder Sommer ein komplett anderes Erlebnis war und ja auch wie Kapitel in meinem Leben repräsentiert hat. Also der erste Sommer war unheimlich intensiv, weil es da für mich um das Thema Aufbruch ging. Wieder ich selber werden, wieder meine Interessen, meine Stärken, meine Neigungen herauszufinden oder nach vorne zu holen. Nachdem ich jahrelang beruflich eben gewisse Rollen gespielt habe und einfach immer nur versucht habe, den Erwartungen anderer Rechnung zu tragen und anderen zu gefallen. Das heißt, der erste Sommer war für mich ja ein Findungssommer und auch ein Ausprobiersommer. Und als ich nach dem ersten Sommer zurück nach Hause gekommen bin, habe ich mich selbstständig gemacht. Und der zweite Sommer war ein Sommer, den ich viel, viel mehr genießen konnte, weil ich, als ich da auf die Alp gekommen bin, schon alles gekannt habe. Ich kannte die Menschen, ich kannte meine Arbeit, ich kannte das Gebiet. Also, wenn ich eine Aufgabe bekommen habe, wusste ich, bin ich jetzt mal eben eine Dreiviertelstunde unterwegs oder werde ich drei Stunden lang da und dahin stapfen, um den und den Zaun zu reparieren? Also das hat mir sehr dabei geholfen, meine Kräfte einteilen zu können. Und das zweite Sommer war dann auch wunderbar sonnig und ziemlich trocken, sodass ich dann auch die Alp mal von der sonnigeren und schöneren Seite kennengelernt habe, den habe ich sehr genossen. Und der dritte Sommer war für mich sehr, sehr ambivalent, weil drei Wochen bevor es losgegangen ist, mein kleiner Bruder tödlich verunglückt ist. Und ich unter einem ganz anderen Vorzeichen dann zu diesem Abenteuer aufgebrochen bin und irgendwie damit klarkommen musste, dass plötzlich mein Bruder nicht mehr da ist und dann noch nicht zu Hause zu sein, sondern eben wieder in meiner kleinen Kammer da oben auf der Berghütte. Das habe ich auch nur gemacht, weil ich die Familie ja dann schon kannte und wir schon Freunde geworden waren. Ich hätte mich sonst nicht in die Fremde sozusagen begeben. Und insofern war dieser Sommer, dieser dritte Sommer noch mal eine ganz andere Aufgabe für mich, den habe ich ganz anders erlebt. Und da hatte ich ganz andere innere Herausforderungen als in dem ersten Sommer, als ich meine Karriere hinter mir gelassen hatte. Und als ich das für mich so beobachten konnte, diese Reise über diese drei Sommer, habe ich gedacht, dass da auch Mehrwert für andere drinsteckt. Wenn es jetzt einfach nur so eine Happy go Lucky: Ja, ich, Großstadt-Karriere-Tussi wird jetzt Sennerin. Wenn es nur so eine Story gewesen wäre, wäre mir das zu wenig und zu flach gewesen, aber so, glaube ich, konnte ich noch einen Tiefgang in die Geschichte bringen. Und ja, am echten Leben und Leiden, was eben einfach dazu gehört, auch teilnehmen lassen und auch aufzeigen, dass man es auch schaffen kann, auch damit einen Umgang zu finden. Für mich war es dann das draußen sein in der Natur und das Arbeiten mit den Tieren, was mir sehr geholfen hat. Und vielleicht kann der eine oder andere da auch eine Perspektive für sich finden.
Heike Drexel: Ja, das heißt, du hast deine Eindrücke über deine Erfahrung auf der Alp als Sennerinnen Hilfe in dem einen Buch da verarbeitet, Bergsommer.
Katharina Afflerbach: Richtig.
Heike Drexel: Und deine Erfahrung, die du durchlebt hast, jetzt, durch den plötzlichen Tod von deinem Bruder, hast du ja in einem zweiten Buch verarbeitet.
Katharina Afflerbach: Ja auch. genau. In dem Buch über die Sommer auf der Alp, es ist der dritte Sommer. Ich kann den Tod meines Bruders ja nicht ausklammern, der findet da natürlich auch drin statt. Und das zweite Buch, da habe ich mich speziell dem Thema Schicksalsschläge gestellt und habe auf meinen eigenen näher hingeschaut. Aber vor allen Dingen habe ich auch andere Menschen zu Wort kommen lassen und mir deren Geschichte erzählen lassen, um herauszufinden, wie ist es Ihnen gelungen, damit einen Umgang zu finden?
Heike Drexel: Ich zitiere mal: Sie waren in Trauer, ich war traurig. Hast du geschrieben in deinem Buch. Hast du denn über das Schreiben von dem Buch eigentlich versucht, den Tod deines Bruders zu verarbeiten? Kann man das so sagen?
Katharina Afflerbach: Es ist über das Schreiben einiges an Verarbeitung passiert, auch wenn das nicht die Intention war. Meine Intention war, ich wollte auf der einen Seite, Menschen, die vielleicht was ähnliches einen wie auch immer gearteten Schicksalsschlag erleben, ja eine Hand reichen vielleicht eine Hilfestellung reichen. Was auch immer die Person vielleicht mitnehmen kann aus den Erlebnissen von anderen Betroffenen. Aber vor allen Dingen oder gleichermaßen wollte ich gerne auch noch was anderes erreichen, denn als mein Bruder gestorben ist, habe ich gemerkt, wie viel Hilflosigkeit und Sprachlosigkeit es auf der anderen Seite gibt. Es gibt kaum einen Freund, eine Freundin, das sind ja Menschen, die ich liebe und eng an meiner Seite habe, aber es gibt trotzdem kaum jemanden, der den Mut und die Kraft hatte meinen Schmerz auszuhalten und wirklich, auf welche Weise auch immer, für mich da zu sein. Die meisten Menschen gehen in den Rückzug vor Hilflosigkeit und ich mache ihnen gar keinen Vorwurf, genauso wie ich selber, haben Sie auch nicht gelernt, mit einem Schicksalsschlag mitten im Leben umzugehen. Und das hat mich eben alles zum Nachdenken gebracht. Mein eigenes Erleben und dann eben auch meine vielen Gespräche mit anderen Betroffenen.
Heike Drexel: Ja, Entschuldigen, da muss ich gerade noch mal einhaken, weil da muss ich mich jetzt tatsächlich selber dran erinnern. Ich hatte jetzt vor kurzem ein Interview mit dem David Roth, der ist Bestatter von dem Bestattungshaus Pütz-Roth und der hat genau das Gleiche dann so gesagt, dass man ohne eigene Erfahrung über den Tod eines nahen Angehörigen, in seinem Fall war es ja seinen Vater, den Fritz Roth, dass man eigentlich dann sich ja eben gar nicht so empathisch in diesen Fall hineinversetzen kann. Also diese Trauer nachempfinden kann. Ja, das ist einfach so, wenn man diese Erfahrung nicht macht. Ich glaube, das ist wie auch bei Krankheit, wenn du selbst keinen Krebs bekommen hast, kannst du nicht ganz so nachvollziehen, wie das ist, was jemand durchleiden muss, der Krebs hat. So traurig es ist, aber es ist irgendwo auch menschlich, dass das einem so schwer fällt.
Katharina Afflerbach: Genau und mit dem Buch, mit dem Auseinandersetzen mit dem Thema möchte ich aber versuchen, dass man sich zumindest schon mal damit gedanklich auseinandersetzen kann und wenigstens versuchen kann, sich in Betroffene hineinzuversetzen oder sich auch einfach überlegen kann: Okay, wenn das nächste Mal in meinem Umfeld, auf der Arbeit, im Turnverein, in der Nachbarschaft ein Schicksalsschlag passiert, vielleicht gelingt es mir ja doch, eine kleine Geste der Verbundenheit auszudrücken, wo ich vorher vielleicht Angst hatte, dass diese Geste falsch sein könnte. Sie wird nicht falsch sein. Jede kleine Geste und dazu möchte ich unbedingt ermutigen, wird Wirkung zeigen. Und zwar gute Wirkung, solange es nicht so was ist wie diese Floskeln. Es wird alles wieder gut oder wird schon, Kopf hoch.
Heike Drexel: Zeit heilt alle Wunden.
Katharina Afflerbach: Genau, aber, wenn es eine persönliche Geste ist, irgendwas Kleines, was Liebevolles, eine SMS. Ich denke an dich, ich bin für dich da. Wird auf wohlwollenden und vor allen Dingen, wohltuenden Boden fallen. Und dazu möchte ich unbedingt ermutigen.
SPIEGEL BESTSELLER UND TV AUFTRITT
Heike Drexel: Und du machst es, glaube ich, auch in deiner Form der Lesereise. Du hast jetzt in der nächsten Zeit einige Termine, die können wir auch gerne mal in die Shownotes schreiben, den Link dazu. Dass, wenn jemand sich mit diesem Thema etwas näher beschäftigen möchte, sich dann auch gerne zu einer Lesung von dir begeben kann.
Katharina Afflerbach: Genau, der Herbst ist wieder Lesezeit. Ja, genau.
Heike Drexel: Was mich jetzt so spontan noch interessieren würde, ist ein bisschen technischer Art. Ich hatte dich ja auch anmoderiert als Spiegel Bestellerin. Wie wird man das denn? Gibt es da eine bestimmte Auflagenzahl, die du da erreichst?
Katharina Afflerbach: Also mir ist das so erklärt worden, dass der Aufkleber “Spiegel Bestseller” verliehen wird, wenn ein Werk in einer Kalenderwoche zu den meistverkauften des jeweiligen Genres gehört. Also es gibt ja verschiedene Genres: Belletristik, Sachbuch, Hardcover, was auch immer. Und es ist egal, also es ist sozusagen in absoluten Zahlen egal, ob das in dieser einen Woche 25 oder 250 Bücher waren, solange es unter den 20, glaube ich, bestverkauften Büchern war. Und vielleicht waren gerade Sommerferien und es sind insgesamt ganz wenige Bücher verkauft worden und dann kann das trotzdem ausreichen, weil es eben darauf ankommt, dass du einfach unter den ersten 20, dass das Buch unter den ersten 20 ist. Und dann gibt es wohl diesen Aufkleber. So wurde mir das erklärt.
Heike Drexel: Aha, das ist ja spannend. Und das war, glaube ich, 2019 ist das rausgekommen.
Katharina Afflerbach: Beim Bergsommer und bei dem anderen ist auch der Spiegel Bestseller Aufkleber drauf, ja.
Heike Drexel: Auch drauf, das ist echt spannend. Und wenn wir gerade schon so ein bisschen bei Insides in die Medienwelt sind, ich habe auch erfahren, du warst ja auch im Fernsehen, ein paarmal. Unter anderem auch, hier bei uns in der Kölner Gegend ist das sehr bekannt, der WDR und der Kölner Treff mit der Bettina Böttinger, erzählst du mir ein bisschen, wie das so war? Das finde ich einfach total spannend.
Katharina Afflerbach: Ja, gerne. Also der Kölner Treff ist als Talksendung aufgebaut. Wer es nicht kennt, da sitzt also eine Gästerunde und diese Gäste werden nach und nach von Bettina Böttinger zu ihrem jeweiligen Thema interviewt. Und das Wundervolle ist beim öffentlichen Rundfunk, dass einfach unheimlich viel Zeit in die Vorbereitung geht. Also es gibt wirklich eine top professionelle Redaktionen, die mit mir als Talkgast im Vorfeld Vorgespräche geführt haben. Schriftlich, mündlich, also, die wirklich sichergehen, dass alles sauber und ordentlich ist und sachlich korrekt ist. Und die sich auch sehr darum bemühen, dass ich als Laienstudiengast selber das Gefühl habe, gut vorbereitet zu sein und dass ich kein Lampenfieber zu haben brauche. Ja, Gast bei so einer Sendung zu sein, war für mich auch deswegen sehr spannend, weil ich eben in der Rolle des Laiengastes dabei war und alle anderen Stühle waren von Prominenten besetzt. Franz Müntefering, Anke Engelke und so weiter. Ja, als ich diese Namen in der Vorbereitung gehört habe, wuchs mein Respekt vor diesem Auftritt natürlich noch höher. Und bei dieser Sendung ist es so, dass zwar die Sendung aufgezeichnet wird, aber sie wird trotzdem eins zu eins, wie sie war, dann gesendet. Also Live Tape oder Tape Live, ich weiß nicht mehr, wie es heißt. Also es wird nicht live eins zu eins übertragen, sondern es ist ein ganz kleiner Zeitversatz von ein oder zwei Stunden. Ich denke, weil es einfach die Organisation und die Arbeitszeiten irgendwie leichter macht. Aber das bedeutet, als Talkgast weißt du, wenn du dich verhaspelt oder irgendwie auf das falsche Pferd aufgestiegen bist und in die falsche Richtung galoppiert bist, da wird nicht geschnitten, da wird nichts rausgeholt, das ist dann eben so. Und da musste ich mir auch selber vor der Sendung bewusst machen, auch da: Es wäre okay zu sagen: Oh, jetzt habe ich mich verhaspelt, ich fange einfach nochmal von vorne an. Und da wirklich diese Coolness beizubehalten und diese Souveränität zu sagen: Stopp, Moment, ich setz noch mal eben neu an. Und diese zehn Sekunden, die verzeiht dir jeder. Und das Schöne ist, wenn du genau so was machst, so was Menschliches, dann hast du alle Herzen auf deiner Seite, weil dann fühlen sich alle berührt und sagen: Ja, mir wäre es doch genauso passiert. Und was mir interessanterweise dabei auch geholfen hat, auch wenn es jetzt ein komplett anderer Kontext ist, ist, als ich damals bei der Reederei Costa Kreuzfahrten gearbeitet habe, ist die Costa Concordia untergegangen. Und ich war eigentlich in der Marketingabteilung, aber sozusagen über Nacht gab es kein Marketing mehr und dann habe ich im Krisenmanagement mitgearbeitet. Und ich war dann am Ende diejenige, die die Angehörigen der Opfer betreut hat. Und ich war mit diesen Menschen auch ein paar Mal vor Ort in Giglio, auf der Insel, wo das Wrack ja so seitlich da im Wasser lag, und habe diese Menschen begleitet. Und da habe ich so berührende Momente erlebt. Es ist so gewesen, dass wenn ich selber einen Moment hatte, wo ich kraftlos war, wo mir vielleicht keine schlauen Worte mehr eingefallen sind, wo ich vielleicht müde war, weil ich immer versucht habe, für alle da zu sein und alle bestmöglich zu begleiten. Wenn dann Angehörige zu mir gekommen sind und zu mir gesagt haben: Sie machen das so gut, Sie geben ja auch Ihr Bestes und Sie können ja auch nichts dafür, dass das hier passiert ist. Wenn diese Menschen, die alles Recht dazu hatten, mich zu hassen, auf mich böse zu sein und kein Wort mit mir zu sprechen, wenn die zu mir gekommen sind und mir noch Kraft geschenkt haben. Und das hat mir auch so geholfen, dieses menschliche, wir sind alle gleich. Und damit kommt man dann auch gut durch so eine Fernsehsendung.
Heike Drexel: Eine Fernsehsendung, wo man dann neben Prominenten sitzt, wo man dann durch die Medien aber immer das Gefühl vermittelt bekommt, sie sind doch nicht so gleich. Daher kommt das ja dann so.
Katharina Afflerbach: Ja und natürlich haben die dann teilweise ihre Garderobe, die sie an dem Abend in der Sendung getragen haben, die hing halt fertig bei denen in ihrer Garderobe und sie sind vom Fahrer irgendwie bis vor die Tür gefahren worden und ich musste irgendwie-. Na also, wir müssen uns selber überlegen: Was ziehen wir an? Das noch irgendwie knitterfrei dahin bringen und so. Also es sind dann diese Kleinigkeiten, die dann doch den Unterschied machen und wo uns natürlich auch dann eine Routine fehlt. Aber sich dann darüber hinwegzusetzen und sagen: Es ist doch egal, wenn die Haare nicht perfekt liegen oder wenn ich halt eine Bluse von C&A anhabe, ist doch klar, dass Anke Engelke eine andere Bluse an hat.
Heike Drexel: Das heißt, wird dir gar nicht das Make up gemacht?
Katharina Afflerbach: Doch, doch.
Heike Drexel: Die schminken dich dann schon, oder?
Katharina Afflerbach: Ja, ja, natürlich, dass schon. Alleine schon aus den technischen Gründen, dass man da nicht glänzt wie so ein Honigkuchenpferd. Aber natürlich ist es einfach was ganz anderes, ob das jemand viermal die Woche macht oder ob da so ein aufgeregter Ottonormalverbraucher wie ich sitzt.
Heike Drexel: Hattest du denn dann die Gelegenheit, die eigentlich auch mal persönlich noch zu sprechen? Oder ist es wirklich so, man kommt dahin, ja performt und geht wieder.
Katharina Afflerbach: Und es gibt da zwei schöne Momente. Der eine Moment war der, den ich auch wirklich sehr wundervoll geplant fand, vom WDR, ist, dass ich vor der Sendung die Möglichkeit hatte, einen ganz kurzen Moment Frau Böttinger unter vier Augen zu sprechen. Und da hat sie sich auch alle Mühe gegeben, mir meine Aufregung zu nehmen und einfach sich vorzustellen, mir die Möglichkeit zu geben, noch Fragen zu stellen und mich einfach zu beruhigen und mir das Gefühl zu geben, dass nichts passieren kann. Dass ich in guten Händen bin und das fand ich eine ganz wundervolle Geste. Und im Anschluss an die Sendung, das war zu Corona Konditionen, gab es draußen auf dem Hof, waren so Stehtische aufgestellt und dann haben alle Talkgäste, sind dann noch an diesem Stehtisch zusammengekommen und es gab ein Kölsch oder eine Cola oder Wasser und ein paar Knabbereien. Und dann haben wirklich Franz Müntefering, Bettina Böttinger, Schauspieler, wer auch immer noch da war und ich-. Also alle auf Augenhöhe, so wie in der Sendung auch, haben wir dabei Cola und Chips am Biertisch zusammen gestanden und noch weiter diskutiert. Es ging um Rassismus und andere politische Themen und du hast sozusagen deine Rolle abgelegt. Und plötzlich standen an diesem Stehtisch acht Menschen und das fand ich unheimlich berührend und hat mir auch so ein bisschen noch mal das Bild zurechtgerückt, weil ich auch oft aufgrund von geliehenen Autoritäten Menschen Respekt zolle, nur weil sie was auf ihrer Visitenkarte stehen haben oder jetzt aus einem tollen Dienstwagen von der Firma aussteigen. Das sind geliehene Autoritäten, das hat nichts damit zu tun, was es für Menschen sind. Und der Abend hat mir dabei geholfen, das zu lernen.
Heike Drexel: Das ist sehr interessant. Wieso kam die jetzt auf dich, wenn das Thema Rassismus ist?
Katharina Afflerbach: Nein, das war einfach das eine Thema, des einen Talkgastes. Da sprang irgendwie noch der Funke über und dann-.
Heike Drexel: Ach so, weil die hatten dich schon eingeladen wegen deinen Büchern?
Katharina Afflerbach: Ja, ja, genau.
Heike Drexel: Das du so von deinen Erfahrungen da erzählst.
Katharina Afflerbach: Genau, ja.
DIE SELBSTSTÄNDIGKEIT UND DER BLICK HINTER DIE KULISSEN
Heike Drexel: Du hast dich jetzt selbstständig gemacht, helfen dir die Bücher da dabei als Renommee oder kannst du von den Büchern eigentlich auch schon leben? Ich möchte so ein bisschen auch da den Blick so hinter die Kulissen noch ein bisschen werfen.
Katharina Afflerbach: Ja, also von meinen beiden Büchern leben zu können, ein ganz klares Nein. Ich weiß nicht, welche Auflagen man schaffen müsste, Henning Mankell. Ich weiß nicht. Das sind, glaube ich, wirklich die ganz großen Namen, die nur von Büchern leben können. Aber es ist tatsächlich so, ich bin Texterin und Konzeptionerin. Das heißt, ich helfe Unternehmen dabei, ihre Visionen, ihre Botschaften zu ihren Kunden zu tragen und oftmals so umzudrehen, dass einfach der Nutzen für die jeweilige Zielgruppe erkennbar ist und so ein Aha-Effekt entsteht. Ich bin so ein bisschen auch der Übersetzer, manchmal von die internen Dinge nach außen zu kehren. Und seitdem ich sozusagen die Bücher in meinem Schaufenster stehen habe, brauche ich niemandem mehr zu erzählen, dass ich schreiben kann. Und oftmals geht es noch nicht mal um die Fakten. Die sind ganz wichtig, weil oft gelingt es den Unternehmen nicht, ihre Benefits wirklich nach draußen zu bringen.
Heike Drexel: Wie so ein Schatzsucher quasi.
Katharina Afflerbach: Ja.
Heike Drexel: Viele Unternehmen sagen ja, wir haben ja gar keine Stories, die wir nach draußen tragen könnten.
Katharina Afflerbach: Ja, genau richtig.
Heike Drexel: Und du musst den Schatz finden, weil das gibt ganz bestimmt Stories.
Katharina Afflerbach: In jedem Unternehmen den Schatz finden. Und dann muss ich aber ja, weil ich ja weiß, Kaufentscheidungen und Buchungsentscheidungen werden ja vom Unterbewusstsein getroffen, muss ich natürlich die Gefühle erreichen. Und die Bücher, die ich geschrieben habe, das sind emotionale Bücher, die gehen tief und ich brauche keine Rechtfertigung mehr. Ich brauche nicht mehr zu erklären: Ja, ihr könnt mir wirklich glauben. Ich bin jetzt irgendwie seit 20 Jahren im Marketing, ich weiß, was ich tue. Hier lies meine Bücher. Also das hat sich deutlich abgekürzt, das kann ich sozusagen aus dem Nähkästchen teilen. Das ist so.
Heike Drexel: Hast du denn schon immer gerne geschrieben, auch als Kind, Tagebücher oder so? Also ist es so eine Gabe des Schreiben Könnens, das man einfach so in sich trägt. Oder hast du das eigentlich auch entwickelt?
Katharina Afflerbach: Also ich habe sehr viel gelesen. Ich glaube, dass ich darüber einen sehr großen Wortschatz mir erarbeitet habe, aber einfach unbewusst. Also ich habe ja nicht als Kind schon angefangen-, also das wusste ich nicht. Und ich weiß, dass ich wortgewandt bin und mit Worten gut, ja, gespürich, würden jetzt die Schweizer sagen. Ja, sehr gespürich sie einsetzen kann, um auch gewisse Wirkungen zu erzielen. Ich bin aber nicht jemand, der wie andere Autoren ganz viel so schreibt oder dieses Journaling, was ja im Moment so im Trend ist. Ich liebe Schreiben, aber zielgerichtet. Also ich brauche ein Projekt, also nur für mich so zu schreiben, das brauche ich nicht. Vielleicht, weil bei mir im Kopf ständig eh so eine Tonspur läuft. Und, wenn ich mir Gedanken mache, zum Beispiel: Oh, heute kommt die Heike zu Besuch und wir werden ein schönes Podcast Gespräch führen. Dann formuliere ich schon so, wie wenn ich schreiben würde. Also ich schreibe irgendwie die ganze Zeit schon in meinem Kopf. Ich habe das nicht, dass ich so leidenschaftlich hier Notizbücher um Notizbücher fülle, sondern dass ist in meinem Kopf und eben dann zielgerichtet für Projekte zum Geldverdienen oder für meine Leidenschaftsprojekte. Ja, das schon.
DINNER FOR LIFE
Heike Drexel: Das sehr spannend. Du hast ja noch ein Leidenschaftsprojekt.
Katharina Afflerbach: Mhm. Ja, genau. Ein sehr leckeres.
Heike Drexel: Ja, ein sehr leckeres, genau. Jetzt kommen wir mal noch so ein bisschen-. Wie bist du denn auf die Idee gekommen, dein Dinner for Life zu kreieren?
Katharina Afflerbach: Ja, das Dinner for Life, sollte ich vielleicht dazu sagen, ist ein Spendenabendessen bei mir zu Hause. Also bei mir können 10 bis 12, das kommt ein bisschen darauf an, 10 bis 12 Gäste können zu mir nach Hause kommen, in mein Wohnzimmer und werden dann von mir verköstigt, in drei Gängen. Und die Idee dahinter ist, dass dann jeder Gast ein Teilnahmebeitrag bezahlt und wir am Ende eine Sammelspende an eine Organisation geben können. Vom Umweltschutz über Menschenrechte, Frauenrechte, Tierschutz, ganz unterschiedlichste Themen. Und diese Idee ist im November 2017 zu mir gekommen und das war am zweiten Geburtstag, den wir ohne meinen Bruder feiern mussten. Also der zweite Geburtstag meines verstorbenen Bruders, wo er nicht mehr da war, da ist mir die Idee gekommen. Und ich habe das Gefühl, dass sie deswegen gekommen ist, weil ich zu der Zeit nicht mehr viel Lust hatte, selber unter Menschen zu gehen. Also dieser Schicksalsschlag hat mich ja nachhaltig verändert und ich bin noch ruhiger geworden, wähle mir meine Kontakte und Beziehungen irgendwie noch besser aus, schaue, was mir wirklich gut tut, um mich stabil zu halten. Und dann hatte ich irgendwie die Idee: Okay, ich muss ja gar nicht nach draußen gehen, die Welt kann ja auch zu mir kommen. Und ich liebe es, hinter den Kulissen Fäden zu ziehen. Also es ist für mich so schön zu beobachten, wie dann hier Beziehungen geknüpft werden, wie Menschen sich langsam kennenlernen. Und ja, ich helfe auch so ein bisschen beim Vernetzen, damit direkt spannende und interessante Gespräche entstehen. Und das funktioniert auch vom ersten Moment an und dann ziehe ich mich in die Küche zurück und lass den Dingen seinen Lauf. Und das ist wirklich fantastisch. Also, wenn ich dann in der Küche stehe und höre, wie im Wohnzimmer gelacht wird und geredet wird, dass es für mich wunderschön.
Heike Drexel: Toll. Ich finde das eine ganz tolle Idee. Ich hatte das ja auch schon in den sozialen Medien ein bisschen verfolgt. Du machst es jetzt schon zum 44 oder 45 Mal.
Katharina Afflerbach: Also ich glaube, jetzt bald ist das 41 Mal. Ich habe nur schon ein bisschen vorgeplant. Ja, genau.
Heike Drexel: Ja, ja, das finde ich echt toll. Wie kommen denn die Menschen auf dich? Also wie werden die denn auf dich aufmerksam, dass du das machst? So wie ich dann zufällig über Social Media, oder?
Katharina Afflerbach: Ja, also das Dinner for Life, hat einen eigenen Facebook Auftritt und jetzt habe ich natürlich auch schon einige Stammkunden, also die wirklich schon ein fünftes, sechstes, siebtes Mal dabei sind. Das ist natürlich auch eine tolle Auszeichnung. Und dann und wann stelle ich das dann auch in solche Facebookgruppen “Neu in Köln” oder was es da so gibt, wo einfach Leute auf der Suche sind nach Aktivitäten und Vernetzungsmöglichkeiten mit neuen Menschen. Und so kommt immer wieder, also kommen immer wieder neue Menschen in mein Wohnzimmer und es ist auch jedes Mal für mich, immer wieder erstaunlich, wie schnell es Klick macht zwischen den Menschen, wenn man einfach nur einen passenden Rahmen und auch einen liebevollen Rahmen schafft. Und dann ist es völlig egal, also wer da zusammenkommt. Da sitzt der Schornsteinfeger neben der Hebamme, neben dem Grundschullehrer neben der Physiotherapeutin. Es ist so ein toller Mix an Menschen und Themen und Lebenserfahrungen, die da ausgetauscht werden. Da fühle ich mich bereichert, obwohl ich ihre Arbeit habe, für so viele Leute zu kochen. Aber ich bin dadurch beschenkt und bereichert.
Heike Drexel: Toll und ich denke auch, dass die, die dann alle kommen, sind sicherlich auch in einer Sache sich ähnlich. Nämlich, dass sie diese Offenheit mitbringen, sich genau eben auf so einen Abend einzulassen, mit wildfremden anderen Menschen dann bei dir aufzukreuzen. Finde ich super, ganz tolle Idee. Also wünsche ich dir noch ganz, ganz, ganz viel Erfolg damit, weil profitieren ja auch viele ehrenamtliche Organisationen dann von eurem Spendengeld.
Katharina Afflerbach: Danke schön. Ich freue mich, wenn du mal dabei bist, Heike.
ABSCHLUSSFRAGE
Heike Drexel: Ja, ich möchte es auf jeden Fall, sehr gerne. Ich habe zum Schluss hin eine Frage, und zwar, ich fange jetzt noch mal kurz andersrum an. Ich habe gehört, dass du eine Frage nach dem, was in fünf Jahren du tun möchtest, dass du das ablehnst, seitdem du aus der Konzernkarriere ausgestiegen bist. Also auch das habe ich ganz fleißig recherchiert, deswegen möchte ich diese Frage dir jetzt gar nicht stellen, aber dafür stelle ich dir meine berühmte Schlussfrage. Und zwar: Das ist die 5 Millionen Euro Frage. Was würdest du tun, wenn du auf einmal 5 Millionen Euro im Lotto gewinnen würdest? Stell dir vor, du spielst, ganz egal, ob du spielst oder nicht.
Katharina Afflerbach: Oh Wahnsinn. Also, mir ist völlig klar, dass ich davon das allermeiste Geld an einen guten Zweck oder mehrere gute Zwecke geben würde. Ich würde meinen Eltern das Haus altenfreundlich gestalten. Mein Bruder hat eine kranke Tochter, die brauchen auch ein behindertenfreundliches Haus. Und dann würde ich, wenn noch was übrig ist, würde ich mir doch eine Hütte in den Bergen wahr machen. Das ist so ein Traum von mir, dass ich das Gefühl habe, dass ich irgendwann mal in den Bergen lebe und wenn auch nur als Zweitwohnsitz. Aber irgendwas ist da in mir drin und ich glaube, davon könnte ich ein paar Euros dafür gebrauchen.
Heike Drexel: Ja, sehr schön. Ja, dann wünsche ich dir das, dass das sich mal ermöglichen lässt, ganz egal wie. Und bedanke mich sehr, sehr für dieses wunder wunderschöne Gespräch. Es war total schön dir zuzuhören und ja, deine Gedanken und Gefühle miterleben zu dürfen.
Katharina Afflerbach: Ich habe zu danken und ich lade alle ganz herzlich ein, zum Spendenabendessen bei mir in Köln auf der Schäl Sick. Tschüss.